„Das Thema nimmt jetzt Fahrt auf“
Die BGHW setzt sich für grundlegende Standards im Arbeitsschutz ein. Auf internationaler Ebene geschieht dies über die Internationale Sektion der IVSS für Prävention im Handel. Ein Interview mit Sigrid Roth, bei der BGHW Referentin Prävention und Internationale Zusammenarbeit sowie Generalsekretärin der IVSS-Sektion Handel.
Kam das Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen überraschend?
Roth: Ich denke grundsätzlich nein, aber es wird kontrovers bewertet. Überraschend mag gewesen sein, dass außerhalb einer europäischen Lösung ein deutscher Alleingang erfolgte. Das LkSG überführt die freiwillige Selbstverpflichtung hinsichtlich der Sorgfaltspflichten in eine gesetzliche Regelung. Hintergrund ist der 2016 beschlossene Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Leitlinien der Vereinten Nationen zu Wirtschaft und Menschenrechten.
Was sollten die Unternehmen im Umgang mit ihren Zulieferern jetzt beachten?
Roth: Sie sollten ein möglichst einfaches Risikomanagement unter drei Aspekten entwickeln: Erstens die Auswahl neuer Zulieferer an der eigenen Nachhaltigkeitserwartung ausrichten, zweitens vorhandene Zulieferer vertraglich verpflichten, die Nachhaltigkeitserwartung des Unternehmens zu erfüllen sowie drittens Schulungen und Weiterbildungen hierzu durchführen.
Bleibt nicht allzu viel Zeit für ein so komplexes Thema …
Roth: Wer sich bereits mit Arbeits- und Umweltschutz sowie Nachhaltigkeit beschäftigt hat, ist ein paar Schritte voraus. Meine Empfehlung lautet: Unternehmen sollten sich untereinander vernetzen, ihre Erfahrungen austauschen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, denn es werden ganz praktische Dinge zu klären sein, wie beispielsweise eine Grundsatzerklärung aussehen kann oder wie Menschen, die weder lesen noch schreiben können, die Arbeitsschutzunterweisungen verstehen können.
Wie geht es nun weiter?
Roth: Das Thema nimmt insgesamt an Fahrt auf. Mit dem Gesetz entwickeln sich die erforderlichen Strukturen und Werkzeuge für die Praxis. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die juristische Auslegung noch nicht bis ins Detail geklärt. Die BGHW wird das Thema globale Lieferketten in der IVSS Sektion Handel bearbeiten. Wir laden die international agierenden Player ein, ihre umfangreichen Erfahrungen einzubringen und mit uns zusammenzuarbeiten, damit wir gemeinsam praxisgerechte Informationen sowie Werkzeuge zur Verfügung stellen können.
In der Sektion Handel der IVSS ist die BGHW wie ihre Mitgliedsunternehmen international aktiv (siehe Infokasten). Was haben die Mitgliedsbetriebe – am Beispiel LkSG – davon?
Roth: Die IVSS und ihre 14 internationalen Präventionssektionen verfolgen das Ziel der International Labour Organization ILO: weltweite soziale Sicherheit, bei der der Arbeitsschutz einen Pfeiler der Existenzsicherung repräsentiert. In der IVSS sind nahezu alle Länder und Branchen vertreten und kooperieren eng. Die BGHW bringt ihre Expertise in die 2019 auf ihre Initiative gegründete IVSS-Sektion Handel in Punkto Arbeitsschutz in Handel, Logistik und Hafenumschlag ein. Indem wir unsere „deutschen“ Ansätze und Standards vermitteln, versuchen wir Einfluss zu nehmen auf, aus unserer Sicht, vorhandene Defizite bei Sicherheit und Gesundheit im Arbeitsleben. Für deutsche Unternehmen verbessert das die Rahmenbedingungen für das Auslandsgeschäft, und trägt zum Aufbau resilienter globaler Lieferbeziehungen bei. Klar ist, für all das braucht man einen langen Atem.
Unter unserer Federführung bearbeiten aktuell IVSS Präventionssektionen das Projekt „Verbesserung von Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden bei der Arbeit entlang globaler Lieferketten durch Vision Zero“ mit dem Ziel, ein Tool zu entwickeln, welches die Bewertung des Arbeitsschutzes entlang der Lieferketten ermöglicht. Leider hat uns Corona etwas Zeit gekostet. Aber wir erwarten Ergebnisse bis zum nächsten Jahr, die sicherlich auch für deutsche Mitgliedsbetriebe hilfreich sein werden. Darüber hinaus konnte man einen Eindruck von unseren Aktivitäten auf dem diesjährigen A+A Kongress gewinnen, wo wir eine Veranstaltung zum Thema „Nachhaltige Lieferketten“ gestalteten.
Auch wenn man zunächst an Schwellen- oder Entwicklungsländer denkt: Das LkSG gilt gleichermaßen für Zulieferer aus dem eigenen Land?
Roth: Richtig. Und natürlich ist rechtskonformes Handeln einer deutschen Firma einfacher zu beleuchten als in einem entfernten Staat, in dem es weniger gesetzliche Rahmung gibt, zudem sprachliche und kulturelle Hürden bestehen. Zum Beispiel der Unfall in Rana Plaza, einer Textilfabrik in Bangladesch, bei der mehr als tausend Menschen ums Leben kamen, hat die Arbeitsverhältnisse in Zulieferländern vor Augen geführt. Insgesamt ist bei diesen Themen viel in Bewegung gekommen. So arbeitet die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), zu deren Verband die BGHW zählt, intensiv mit Behörden und Herstellern in Bangladesch zusammen, um dort die Arbeitsschutzstandards zu erhöhen und ein System der gesetzlichen Unfallversicherung nach deutschem Vorbild aufzubauen. Wie gesagt: das Thema nimmt Fahrt auf.
Über die IVSS
Die IVSS ist die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit. Sie ist die weltweit führende internationale Organisation für Institutionen, Regierungsstellen und Behörden, die sich mit der sozialen Sicherheit befassen. Die internationale Sektion Handel der IVSS wurde 2019 vom Vorstand der IVSS eingerichtet. Die IVSS-Sektion Handel ist weltweit tätig und befasst sich mit der Sicherheit, der Gesundheit und dem Wohlbefinden bei der Arbeit im Handel, in der Warenlogistik, im Hafenumschlag und im Einzelhandel.
Der Sitz der Geschäftsstelle der IVSS-Sektion Handel ist bei der BGHW in Mannheim. Die Vorstandsmitglieder:
- Präsident: Siong Hin Ho, Direktor beim Ministerium für Arbeitskräfte von Singapur und stellvertretender Direktor der Akademie des Ministeriums
- Vizepräsidenten: unter anderem Dr. Udo Schöpf, Geschäftsführung BGHW,
- Generalsekretärin/Leitung: Sigrid Roth, Referentin Prävention und Internationale Zusammenarbeit BGHW