| Sicherheit

Helfende Beifahrer

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Das Wichtigste im Überblick

Wie kann man die Verkehrssicherheit für Lkw-Fahrerinnen und Fahrer verbessern? Zum Beispiel durch korrekt eingestellte Spiegel oder technische Hilfsmittel wie Abbiege- und Notbremsassistent oder den abstandsregelnden Tempomat. Neue Konzepte wie das Truck Platooning oder digitale Technologien könnten den Verkehr auf Deutschlands Straßen künftig sogar noch sicherer machen. 

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Wenn die Fahrerin oder der Fahrer eines Lkw abgelenkt oder übermüdet ist und deswegen eine Verkehrssituation falsch einschätzt, sind die Folgen oft dramatisch. Das liegt auch an der hohen Masse eines Lkw. Wie können technische Hilfsmittel und neue Konzepte die Sicherheit erhöhen und damit künftig die Situation auf Deutschlands Straßen verbessern?

Eine alltägliche Verkehrssituation in einer deutschen Stadt: Der Fahrer eines Sattelzugs will nach rechts abbiegen, er muss ausholen und weicht zwangsläufig von seiner Fahrspur Richtung Straßenmitte ab. Gleichzeitig fährt eine Radfahrerin oder ein Radfahrer rechts über den Fahrbahnrand. Sieht das die Fahrerin oder der Fahrer eines Lkw? Wahrscheinlich. Denn den toten Winkel am Lkw gibt es dank technischer Hilfsmittel eigentlich nicht mehr. So erfassen gleich mehrere Spiegel die Räume, die sonst für die Fahrerin oder den Fahrer aufgrund der Höhe des Fahrzeugs nicht einsehbar wären.

Korrekt eingestellte Spiegel

Zur Ausstattung eines modernen Trucks gehören neben den zwei Hauptspiegeln ein Anfahrspiegel mit Blick auf den Raum direkt neben der Zugmaschine, zwei Weitwinkelspiegel für den Bereich zwischen Zugmaschine und Auflieger sowie ein Frontspiegel, der das erfasst, was sich vorm Kühler befindet. Dort könnten sich 20 Schulkinder verstecken, gäbe es den Frontspiegel nicht. Sind alle Spiegel korrekt eingestellt, wird der sogenannte tote Winkel einsehbar – theoretisch. Doch an der richtigen Einstellung hapert es häufig. Außerdem ist es im städtischen Verkehrsgewimmel nicht einfach, alle Verkehrsteilnehmer und Spiegel zeitgleich im Auge zu behalten. Deswegen sind weitere Assistenzsysteme wichtig. 

Der Notbremsassistent ist eine große Hilfe, um die Fehler der Fahrerin oder des Fahrers zu korrigieren.

Siegfried Brockmann, Unfallforscher

Abbiege- und Notbremsassistent

Inzwischen sind neue Lkw-Modelle mit einem Abbiegeassistenten ausgerüstet, der die Fahrer warnt oder sogar selbst bremst, um einen Unfall zu vermeiden. Aber erst ab 2024 wird der Abbiegeassistent für alle Neufahrzeuge in der Europäischen Union zur Pflicht. Bis dahin könnten eine Rückfahr- oder eine Abbiegekamera den Fahrenden weiterhelfen. Letztere wird aktiviert, sobald der Blinker gesetzt wird. Noch mehr Sicherheit bietet ein Abbiegeradar, das auf Hindernisse reagiert und davor optisch und akustisch warnt. Für neue Modelle werden Notbrems- und Spurhalteassistent angeboten, die manuell nicht mehr deaktiviert werden können. Manche Fahrerinnen und Fahrer schalten diese Fahrerassistenzsysteme nämlich einfach aus.

Der Notbremsassistent ist seit 2015 Pflicht für neuzugelassene Lkw. „Er ist eine große Hilfe, um die Fehler der Fahrerin oder des Fahrers zu korrigieren“, erklärt Unfallforscher Siegfried Brockmann. Der Assistent misst die Zeit bis zu einem Aufprall auf ein Hindernis (z.B. ein Auto oder einen Fußgänger) und sendet dem Fahrenden, wenn er nicht reagiert, Signale. Reagiert er auch darauf nicht, bremst der Assistent selbstständig runter – auf maximal 60 Stundenkilometer. Ein weiteres Defizit: Reagiert der Fahrende in einer brenzligen Situation mit einer ausweichenden Lenkbewegung, schaltet der Assistent sich aus. Neuerdings sind Assistenzsysteme auf dem Markt, mit denen es gelingt, das Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von bis zu 50 km/h (Active Brake Assist 5) rechtzeitig ohne Kollision zum Stillstand zu bringen.

Die besten Systeme nützen leider nichts, wenn sie deaktiviert werden oder gar in letzter Sekunde übersteuert werden.

Jürgen Bönninger, Vorsitzender des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR)

Der abstandsregelnde Tempomat

Der Notbremsassistent ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem „Adaptive Cruise Control“ (ACC), einem abstandsregelnden Tempomat, der die nötige Distanz zum vorausfahrenden Fahrzeug kontrolliert und automatisch beibehält. Das nervt viele Berufskraftfahrerinnen und -fahrer. Sie schalten daher den Tempomat aus. Die Folge: Der ACC kann auf ein Stauende gar nicht reagieren. Das Ergebnis: eine Kollision mit verheerenden Folgen. Deswegen plädiert Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), für eine maximale technische Ausstattung der Fahrzeuge. „Ein Beispiel ist die Fahrerbeobachtung per Kamera: Das System erkennt, warnt und speichert, wenn die Fahrerin oder der Fahrer die Augen schließt oder am Handy tippt.“ Außerdem müsse das ACC weiter optimiert werden, indem es zukünftig wie ein Mensch auf einscherende Fahrzeuge reagiere und nicht wie bisher abrupt, so der Unfallforscher.

Die Vision Zero

Es gibt also genügend technische Ansatzpunkte, um die Zahl der schweren Lkw-Unfälle einzudämmen. Mit innovativen Systemen und Konzepten beschäftigt sich auch der Ingenieur Jürgen Bönninger. Er ist Vorsitzender des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) und Geschäftsführer der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH in Dresden. Das Unternehmen entwickelt innovative Prüftechnologien und untersucht elektronische Systeme, die dazu beitragen sollen, die „Vision Zero“, also die Vision von null Verkehrstoten, zu unterstützen. Er hat beobachtet, dass „die besten Systeme leider nichts nützen, wenn sie deaktiviert oder gar in letzter Sekunde übersteuert werden.“ Der Gesetzgeber müsse sich daher dafür einsetzen, dass eine Deaktivierung der Systeme im Normalbetrieb zukünftig nicht mehr möglich sei.

Es wird immer mehr Betriebsbereiche geben, in denen Gütertransporte vollautomatisiert und vernetzt unterwegs sein werden.

Jürgen Bönninger, Vorsitzender des Vorstandsausschusses Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR)

Erst pusten, dann fahren

Auch Alkoholfahrten stellen ein großes Unfallrisiko dar. Das statistische Bundesamt verzeichnete 2019 14.071 Unfälle unter Alkoholeinfluss, bei denen Personen zu Schaden kamen. 228 Menschen starben, 4.592 wurden bei Alkoholunfällen schwer verletzt. Alkohol-Wegfahrsperren, sogenannte Alko-Interlocks, könnten diese Alkoholfahrten verhindern. Die BGHW hat deshalb ein Projekt angestoßen, bei dem Unternehmen  eine gewisse Anzahl von Alko-Interlocks zur Verfügung gestellt werden. Einzige Bedingung: Die Montagekosten muss das Unternehmen selbst zahlen, die jährliche Wartung übernimmt die BGHW. Die Firma Frische Transporte Machoi aus Wanzleben ist mittlerweile von der Technik überzeugt. Das Unternehmen hat seine Lkw mit Alko-Interlocks ausgerüstet. Mehr über das Projekt und den Arbeitsalltag mit den Geräten erfahren Sie in unserem Beitrag „Erst pusten, dann fahren“.

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Der digitale Blick um die Kurve

Neue digitale Technologien können Deutschlands Straßen noch sicherer machen, so der Ingenieur aus Dresden. „Mithilfe der Digitalisierung werden die Verkehrsteilnehmer bald viel intensiver miteinander kommunizieren. Beispielsweise durch die Car2X-Kommunikation, die nachfolgende Verkehrsteilnehmer über das Verkehrsgeschehen vor dem Lkw informiert und vor einem Stauende warnt.“ Diese Car2X-Kommunikation könnte zum Beispiel den digitalen „Blick um die Kurve“ ermöglichen und dabei helfen, frühzeitig gefährliche Situationen zu erkennen und automatisiert zu reagieren. Das ist alles zwar noch Zukunftsmusik, weil der Datenraum Mobilität, der diese Daten in Echtzeit erfasst, austauscht und verarbeitet, noch nicht für den gesamten Straßenverkehr zur Verfügung steht, aber die Tendenz ist klar: „Es wird immer mehr Betriebsbereiche geben, in denen Gütertransporte vollautomatisiert und vernetzt unterwegs sein werden“, sagt Dr. Kristian Höppinger, Projektingenieur bei FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH.

Truck Platooning – Fahren im Konvoi

Das DVR-Mitglied bringt noch eine andere Lösung ins Spiel. Sie wurde in den USA und in Australien erfolgreich getestet: das Truck Platooning. Es könnte den Transport und die Sicherheit auf Deutschlands Straßen revolutionieren. Dabei werden mehrere Lkw elektronisch miteinander verbunden, um in Echtzeit zu kommunizieren. Werden die Fahrzeuge in einem Konvoi angeordnet, kann das Führungsfahrzeug sein Fahrverhalten auf die anderen übertragen. So ist der Konvoi imstande, Manöver wie Beschleunigen und Bremsen für alle Fahrzeuge synchron zu vollziehen. Durch diese Technologie können Lkw ohne Gefahr in einem Abstand von wenigen Metern hintereinanderfahren und ihren Luftwiderstand wesentlich verringern. Das automatisierte System macht es möglich, vorausschauend auf Verkehrssituationen zu reagieren und Kraftstoff einzusparen. „Das Truck Platooning erhöht die Sicherheit, reduziert den Stress für Fahrerinnen und Fahrer und senkt CO2-Emissionen“, berichtet Bönninger. Um das System auf deutschen und europäischen Autobahnen einzusetzen, müssten die Gesetzgeber die Regeln und Verordnungen nur geringfügig anpassen.

Der Stolz des Truckers

Verändern die neuen Systeme womöglich auch den Beruf des Truckers? Schließlich übernehmen sie immer mehr Aufgaben des Fahrzeuglenkers. „Der Beruf wird anspruchsvoller“, sagt Bönninger. Der Trucker müsse die automatisierten Systeme verstehen und deren Möglichkeiten und Grenzen kennen. Routinefahrten, wie die Folgefahrt auf der Autobahn, werde er schon bald ans System abgeben und fahrerlose „Hub-to-Hub-Transporte“ würden in begrenzten Betriebsbereichen in den nächsten Jahren realistisch. Bedeutender seien die positiven Effekte der helfenden Beifahrer für die Fahrerinnen und Fahrer, so Bönninger: „Sie reduzieren den Stress, erhöhen die Sicherheit und steigern damit den Stolz des Truckers.“ [sie]

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