Das Wichtigste im Überblick
- Immer mehr Menschen leiden unter Schlafstörungen.
- Ein- und Durchschlafprobleme sind eine Volkskrankheit.
- Müdigkeit führt zu einer verminderten Produktivität, kurze Schlafphasen dagegen zu einer überproportional höheren Profitabilität.
- Schichtarbeiter müssen ihre innere biologische Uhr anpassen.
- Interview mit dem Schlafforscher Dr. Riccardo Stoohs.
Immer mehr Menschen schlafen schlecht. Woran liegt das? Was können Unternehmen und ihre Mitarbeitenden dagegen tun? Ein Gespräch mit dem Experten für Schlafmedizin Dr. Riccardo Stoohs.
Viele Menschen leiden heute unter Schlafstörungen. Woran liegt das?
Dr. Riccardo Stoohs: Der Schlaf ist ein sehr kompliziertes Konstrukt. Damit er stattfinden kann, sind gewisse Voraussetzungen unbedingt notwendig und es gibt viele Faktoren, die von außen darauf einwirken können. Die meisten Schlafstörungen, die wir heute bei den Menschen in der westlichen Zivilisation sehen, sind maßgeblich durch den Lifestyle, durch die Arbeit, aber auch durch Stress in der Familie oder in der Partnerschaft beeinflusst.
Wie viele Menschen schlafen schlecht?
Dr. Riccardo Stoohs: Es gibt relativ genaue Daten über die Insomnie, also über Ein- und Durchschlafstörungen, vor allem aus den USA. Sie zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Bevölkerung irgendwann in ihrem Leben Schlafprobleme hat, also nicht einschlafen oder nicht durchschlafen kann. Diese Beschwerden treten akut auf, können aber über einen langen Zeitraum bestehen und sind dann chronisch. Je länger dieser Zustand anhält, desto schwieriger wird es, ihn zu behandeln. Deswegen ist man bestrebt, ihn in der akuten Phase zu entdecken und zu behandeln. Die Erfolgschancen sind dann am besten.
Und wie viele Menschen haben chronische Schlafstörungen?
Dr. Riccardo Stoohs: Anhand verschiedener Studien kann man davon ausgehen, dass zwischen 15 und 25 Prozent der Menschen ein Dauerproblem mit dem Schlaf haben, ganz unabhängig von den Ursachen.
Sprechen wir also von einer Volkskrankheit?
Dr. Riccardo Stoohs: Wir können bei Schlafstörungen von einer Volkskrankheit sprechen, weil es so viele Menschen betrifft und die sozioökonomischen Auswirkungen so immens sind. Durch Schlafstörungen entstehen viele Fehler und enorme Kosten in der Produktion. Bei Unfällen im Transportwesen spielen sie teilweise eine Rolle. Das bekannteste Beispiel ist der Untergang des Tankers Exxon Valdez 1989. Wenn man bedenkt, was allein der Untergang dieses Schiffs an Schäden verursacht hat, kann man sich vorstellen, wie hoch die Kosten sein können, die jährlich durch Schlafstörungen entstehen.
Dr. Riccardo Stoohs gründete nach mehrjähriger Forschungsarbeit an der Medizinischen Fakultät in Marburg sowie als Professor an der Stanford Universität in Palo Alto (US-Bundesstaat Kalifornien) 1996 mit Dr. Hans-Christian Blum die Somnolab Privatkliniken für Schlaftherapie. In dem Schlaflabor am Dortmunder Phoenixsee beschäftigt sich der Schlafmediziner mit den Aufgaben und Möglichkeiten der Schlaftherapie.
Was kann man dagegen tun?
Dr. Riccardo Stoohs: Ein sehr wichtiger Aspekt ist eine gesunde Ernährung. Besonders bei Übergewicht, das nicht nur hohen Blutdruck, Herzinfarkte oder Schlaganfälle verursachen kann, sondern auch atmungsbezogene Schlafstörungen. Es gibt aber noch andere Dinge, die man machen kann. Japanische Firmen bieten ihren Mitarbeitenden Ruhe- und Wellnessräume an. Dort können sie sich bei leiser Musik und gedämpften Licht 15 Minuten lang ausruhen und entspannen. Davon profitiert auch der Arbeitgeber, weil Müdigkeit die Produktivität mindert, relativ kurze Schlafphasen dagegen zu einer überproportional höheren Profitabilität führen.
Das ist ideal für Büroangestellte, aber was können Schichtarbeiter tun?
Dr. Riccardo Stoohs: Das oberste Gesetz bei der Schichtarbeit ist, dass sie immer im Einklang mit der inneren biologischen Uhr stattfinden muss. Das bedeutet, dass nach der Früh- die Spätschicht folgt und nach der Spät- die Nachtschicht. Also ein ganz einfaches Ding: Man rotiert mit dem Uhrzeigersinn nach vorn. Denn unsere innere Uhr kann nicht zurücklaufen. Sie wird fürchterlich durcheinandergebracht, wenn man das erzwingen will.
Was sollten Schichtarbeiter noch beachten?
Dr. Riccardo Stoohs: Die innere biologische Uhr benötigt immer ihre Zeit, um sich an die Arbeitszeiten der Schicht anzupassen. Eine Nachtschicht ist wie ein Flug von Deutschland nach San Francisco. Demnach befindet sich der Schichtarbeiter im permanenten Jetlag mit einer Zeitdifferenz von neun Stunden. Seine innere Uhr braucht anderthalb Stunden pro Tag, damit sie das versteht und sich an die Ortszeit in Deutschland gewöhnt. Deswegen sollte er öfter eine Pause machen als jemand, der am Tag arbeitet.
Was ist denn für Sie ein guter Schlaf?
Dr. Riccardo Stoohs: Der ist immer individuell und von verschiedenen Faktoren abhängig. Aber ein guter Schlaf bedeutet für mich, wenn ich zu einer bestimmten Uhrzeit am Abend ins Bett gehe, immer so plus minus 30 Minuten. Ich empfinde dann eine sogenannte Bettschwere, bin aber nicht übermüdet. Wenn ich dann das Licht ausmache, schlafe ich spätestens nach 20 Minuten ein, ohne mich hin und her zu wälzen. Am nächsten Morgen wache ich idealerweise nach sieben Stunden Schlaf zwischen 6 und 7 Uhr auf und fühle mich erholt und erfrischt. Im weiteren Tagesverlauf werde ich vielleicht ein bisschen müde, so zwischen 14 und 15 Uhr. Am Abend vermeide ich es auf der Couch vor dem Fernseher einzuschlafen. Zwischen 22 und 23 Uhr beginnt der Zyklus wieder von vorn. Das ist für mich angenehmer Schlaf. (sie)