Das Wichtigste im Überblick
- Das IPA untersucht in einer branchenübergreifenden Studie wie Betriebe den vorgeschriebenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard umgesetzt haben (Teil 1) und inwieweit Beschäftigte durch die Veränderungen am Arbeitsplatz psychisch beansprucht sind (Teil 2).
- Dr. Swaantje Casjens erläutert die dazu durchgeführten Onlinebefragungen mit Fachkräften für Arbeitssicherheit und Beschäftigten.
- Die wichtigsten Ergebnisse: Befragte Betriebe überprüfen ihre Gefährdungssituationen wesentlich aufmerksamer, Pandemie-Pläne haben einen neuen Stellenwert bekommen und Unfallversicherungsträger sind mit ihren branchenspezifischen Kenntnissen wichtige Ansprechpartner.
- Die Auswertung der zweiten Befragung mit den Beschäftigten läuft noch. Erste Eindrücke zeigen: Die Belastung für die Befragten hat im Laufe der Pandemie zugenommen.
- Peter Hildebrandt, Fachkraft für Arbeitssicherheit bei der REWE Group und Teilnehmer der Studie: „Wir profitieren alle von dem, was wir aus der Pandemie lernen können und müssen.“
Die Corona-Pandemie hat die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit viel stärker in den Fokus gerückt. Wie haben Betriebe den vorgeschriebenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard umgesetzt? Sind Beschäftigte durch die Veränderungen am Arbeitsplatz psychisch intensiver beansprucht? Das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA), hat dazu eine Studie durchgeführt, die Dr. Swaantje Casjens vorstellt.
Im Jahr 2020 haben sich in Deutschland mehr als 1,5 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Mittlerweile ist die Zahl der Infizierten bundesweit auf über 4,3 Millionen (Stand Anfang Oktober 2021) gestiegen. Dem IPA war frühzeitig bewusst, dass Corona auch mit psychischen Belastungen verbunden sein kann. Dr. Swaantje Casjens, Epidemiologin am IPA, und ihre Kollegen befragten daher in einer zweigeteilten Studie online Fachkräfte für Arbeitssicherheit zur Umsetzung der SARS-CoV-2-Präventionsmaßnahmen im Betrieb (Teil 1) sowie Beschäftigte zur psychischen Beanspruchung während und nach der Umsetzung SARS-CoV-2-bedingter Einschränkungen (Teil 2). Beide Online-Befragungen starteten im Dezember 2020, Teil 1 endete Mitte Mai, Teil 2 Mitte August. Die Ergebnisse von Teil 1 liegen bereits vor, Teil 2 wird noch ausgewertet.
Frau Dr. Casjens, was war das Ziel der gesamten Studie?
Dr. Swaantje Casjens: Die SARS-CoV-2-Pandemie ist eine bisher noch nie dagewesene Situation, die Beschäftigte und Unternehmen vor neue Herausforderungen stellt, gerade auch mit Blick auf den neuen Arbeitsschutzstandard. Wir wollten vor allem branchenübergreifend untersuchen, wie die Unternehmen diese in der Realität umsetzen und welche Auswirkungen dies auf die Beschäftigten hat.
Welche Branchen haben Sie untersucht?
Dr. Swaantje Casjens: In erster Linie haben wir die Branchen Industrie, Öffentlicher Dienst, Finanzsektor, Einzelhandel und Öffentlicher Personennahverkehr untersucht.
Befragt haben Sie Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Beschäftigte?
Dr. Swaantje Casjens: Genau, denn für den ersten Teil der Studie, die Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahmen, sind die Fachkräfte für Arbeitssicherheit die Expertinnen und Experten vor Ort. Sie beschäftigen sich intensiv mit diesen Fragestellungen und wissen, worauf es ankommt. Beim zweiten Teil der Studie, den psychischen Beanspruchungen, war klar, dass nur die Beschäftigten selbst uns einen guten Eindruck ihrer Lage geben können: Fühlen sie sich in ihrem Arbeitsalltag durch die neuen Präventionsmaßnahmen belastet? Wie groß ist ihre Sorge vor einer Ansteckung und dem Verlust des Arbeitsplatzes?
Wie haben Sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht?
Dr. Swaantje Casjens: Die teilnehmenden Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben uns viele Kontakte in die Betriebe vermittelt, um die Fachkräfte und Beschäftigen über die Onlinebefragung zu informieren. Damit wir auch Klein- und Kleinstbetriebe erreichen, die sich keine eigene Fachkraft für Arbeitssicherheit leisten können, haben wir mit dem Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI) zusammengearbeitet. Im VDSI-Magazin (Ausgabe Februar 2021) wurde unsere Studie vorgestellt. Im Nachgang zur Veröffentlichung konnten wir einen Anstieg der Teilnahmezahlen beobachten.
Was hat der erste Teil der Studie ergeben?
Dr. Swaantje Casjens: Wir konnten mit dieser Studie zeigen, dass durch die Pandemie viele Betriebe ihre Gefährdungssituationen wesentlich aufmerksamer überprüfen. 99 Prozent aller befragten Betriebe und Einrichtungen haben beispielsweise die Beschäftigten zu eingeleiteten Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen informiert und unterwiesen und zwar schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt.
Welchen Stellenwert haben Pandemie-Pläne?
Dr. Swaantje Casjens: Die Mehrzahl der befragten Betriebe hat jetzt einen Pandemie-Plan bzw. hat ihn aktualisiert. Vielen Teilnehmenden hat die Corona-Krise die Bedeutung des Plans deutlich vor Augen geführt. Sie sind nun besser vorbereitet, um auf künftige Pandemien schneller zu reagieren und somit potenzielle Belastungen der Beschäftigten zu minimieren.
Welche Rolle spielen die Unfallversicherungsträger?
Dr. Swaantje Casjens: Die branchenspezifischen Ergänzungen kannten 78 Prozent der Teilnehmenden. Die Unfallversicherungsträger mit ihrer branchenspezifischen Ausrichtung sind in einer solchen Krise also ein wichtiger Ansprechpartner für die Mitgliedsbetriebe.
Wie viele Personen haben an der zweiten Umfrage teilgenommen?
Dr. Swaantje Casjens: Rund 1.500 Beschäftigte haben unseren Onlinefragebogen zur psychischen Beanspruchung beantwortet. Was uns gefreut hat: Bis auf sehr wenige Ausnahmen haben alle die Umfrage bis zum Ende durchgeführt. Das zeigt uns, dass die Befragten Bedarf hatten, sich zu dem Thema zu äußern.
Was war der Fokus der zweiten Umfrage?
Dr. Swaantje Casjens: Mit dieser Studie wollten wir klären, ob ein Zusammenhang zwischen dem angenommenen branchenspezifischen Infektionsrisiko und der psychischen Beanspruchung der Beschäftigten in deutschen Betrieben besteht. Beim Infektionsrisiko muss man beachten, dass beispielsweise nicht alle Beschäftigten des Einzelhandels dem gleichen Risiko ausgesetzt sind: Ein direkter Kundenkontakt und damit ein erhöhtes Infektionsrisiko ist bei einer Kassiererin oder einem Kassierer wahrscheinlicher als bei einer Führungsperson einer großen Supermarktkette, die möglicherweise im Homeoffice arbeiten kann.
Welche weiteren Parameter haben Sie berücksichtigt?
Dr. Swaantje Casjens: Wir haben abgefragt, ob außerdem beispielsweise das Beschäftigungsverhältnis, der Familienstand, chronischer arbeitsbedingter Stress und generelle Sorgen vor Covid-19-Gefahren die psychische Beanspruchung beeinflussen. Daher haben wir einen umfangreichen Fragebogen entwickelt, um uns ein Gesamtbild zu verschaffen und keine falschen Schlüsse zu ziehen. Hierfür haben wir validierte Standardinstrumente eingesetzt, sodass die Studienergebnisse leichter mit den Ergebnissen anderer Studien verglichen werden können.
Können Sie einen Ausblick auf den zweiten Teil der Studie geben?
Dr. Swaantje Casjens: Die Auswertung der Ergebnisse läuft noch. Aber nach den ersten Eindrücken können wir jetzt schon sagen, dass die Belastung für die Befragten im Laufe der Pandemie zugenommen hat. Außerdem hat sich die Hälfte der Teilnehmenden dazu bereit erklärt, an einer weiteren Umfrage teilzunehmen. Für uns hätte das den Vorteil, dass uns ein großer Personenkreis drei Mal zu diesem Thema seine Eindrücke schildert – rückwirkend zum Beginn der Pandemie, beim zweiten Lockdown im Dezember und eben zu einem späteren Zeitpunkt. Dadurch können wir den Langzeiteffekt der Pandemie erfassen.
„Wir profitieren alle von dem, was wir aus dieser Pandemie lernen können und müssen.“
Peter Hildebrandt, Fachkraft für Arbeitssicherheit REWE Group, hat an der IPA-Studie teilgenommen.
Die REWE Group arbeitet seit vielen Jahren in den verschiedensten Themenfeldern eng und gut mit der BGHW zusammen. Uns verbindet das gemeinsame Ziel, die Arbeit für unsere Beschäftigten sicherer und gesünder zu machen. Als der Präventionsbereich der BGHW anfragte, ob wir an der IPA-Studie mitarbeiten möchten, habe ich mich sofort dafür eingesetzt. Letztlich profitieren alle Beteiligten von dem, was wir aus dieser Pandemie lernen können und müssen. Dazu leistet die IPA-Studie einen wichtigen Beitrag. Zwar wünschen wir uns alle das Ende der Pandemie und möglichst auch keine „Neuauflage“, aber trotzdem können wir nie sicher sein, dass wir nicht irgendwann mit vergleichbaren Ereignissen konfrontiert werden. Dann werden wir von erworbenem Wissen und unseren Erfahrungen profitieren.
Die Pandemie war und ist ein zentrales Thema in unserer Tätigkeit. Wir stehen im engen Austausch mit unseren Führungskräften und den Betriebsräten, um zum Beispiel an den innerbetrieblichen Regelungen zur Umsetzung der staatlichen Verordnungen („Corona-Arbeitsschutzverordnung“) mitzuwirken und um unsere Prozesse ständig an die aktuellen Anforderungen anzupassen. Wir haben beispielsweise auch maßgeblich an der Erstellung und laufenden Anpassung diverser Gefährdungsbeurteilungen (zum Beispiel werdende Mütter und besonders gefährdete Personen) oder auch zu Hygienekonzepten mitgearbeitet. Zusätzlich hatten wir Schnittstellen zu den Task-Forces auf nationaler und regionaler Ebene mit verschiedenen Fachbereichen.