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Mit Interview

Muskel-Skelett-Belastungen nachhaltig vorbeugen

ca. 5 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Experten für Gesundheit diskutieren darüber, wie sich Muskel-Skelett-Belastungen nachhaltig vorbeugen lassen: Silke Kruschwitz, Sporttherapeutin und Sicherheitsbeauftragte bei Adolf Würth in Künzelsau, Maximilian Kuehn, Teamleiter Vertriebsaußendienst und Gebietsverkaufsleiter für angetriebene Handhabungs- und Transportsysteme bei Expresso in Kassel und Patrick Gaß, Aufsichtsperson BGHW, Leiter Themenfeld Ergonomie und Disability-Manager. 
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bei der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen einbezogen werden, damit sie diese annehmen und umsetzen.
  • Gefährdungsbeurteilung sollte nicht ohne betroffene Beschäftigte durchgeführt werden.
  • Verschiedene Zielgruppen brauchen eine unterschiedliche Ansprache, damit sie Präventionsmaßnahmen akzeptieren.
  • Vorteil für kleine Betriebe: Sie bekommen Schwachstellen in Arbeitsabläufen schneller mit – bei der Umsetzung von Maßnahmen können sie auf Kooperationspartner setzen.
  • Dass Gesundheit gelebt wird, muss im Betrieb sichtbar sein. Am besten machen der Chef, die Chefin und die Führungskräfte als Vorbilder mit.
  • Good-Practice: das Kraftmobil bei Adolf Würth in Künzelsau
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Muskel-Skelett-Erkrankungen lassen sich nur dann nachhaltig bei der Arbeit vorbeugen, wenn Beschäftige bei Präventionsmaßnahmen mitbestimmen können. Egal, ob es um Hilfsmittel oder das eigene Verhalten geht. Silke Kruschwitz, Sporttherapeutin bei Würth, führender Hersteller von Befestigungstechnik, Maximilian Kuehn von Expresso, einem Unternehmen für angetriebene Handhabungs- und Transportsysteme, sowie Patrick Gaß, Aufsichtsperson bei der BGHW, berichten von ihren Erfahrungen rund um die Prävention.

Prävention für das Muskel-Skelett-System

Silke Kruschwitz: Wenn wir auf die hohe Zahl der Muskel-Skelett-Erkrankungen bei der Arbeit schauen, müssen wir uns fragen, wie gesund eigentlich unser Lebensstil ist. Ein treffendes Beispiel: Die Sitzzeiten sind bei vielen Menschen sehr dominant. Sitzen ist das neue Rauchen. Und für die Anatomie unserer Wirbelsäule ist Sitzen einfach ungesund. 

Patrick Gaß: Dessen sind sich viele Unternehmen bewusst. Immer mehr schaffen beispielsweise höhenverstellbare Schreibtische für die Beschäftigten an. Aber viele nutzen diese nicht regelmäßig, aus Bequemlichkeit oder weil sie es vergessen. Die Menschen wissen oft, woran es hakt, und dass sie für den Bewegungsapparat viel mehr tun müssten. Aber das Verhalten nachhaltig zu ändern, fällt den meisten schwer.

Maximilian Kuehn: Stimmt, eine Beratung für das passende Hilfsmittel sollte frühzeitig erfolgen. Fehlen Be­schäftigte krankheitsbedingt, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Ein Logistik-Mitarbeiter, der 20 Jahre falsch hebt, hat einfach 
irgendwann körperliche Schäden und entprechende Schmerzen.

Patrick Gaß: Dass sich Fehlverhalten über die Jahre einschleift, liegt auch daran, dass Unternehmen häufig die Gefährdungsbeurteilung ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchführen, die es betrifft. Dabei geht Prävention alle an.

Silke Kruschwitz: Bei Würth merken wir: Beteiligen wir Beschäftigte, wirken Präventionsmaßnahmen deutlich besser, als wenn wir gesundes Verhalten vorschreiben. In der Logistik haben wir beispielsweise Arbeitsplätze umgestaltet und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mithilfe von Fragebögen einbezogen. Sie haben die geplante Ausstattung getestet und ihre Meinung abgegeben.

Porträt von Silke Kruschwitz, Sporttherapeutin bei Adolf Würth

Ich muss die Menschen auf allen möglichen Wegen ansprechen.

Silke KruschwitzSeit 30 Jahren Sporttherapeutin und seit 2018 Sicherheitsbeauftragte bei Adolf Würth in Künzelsau, führender Hersteller von Befestigungstechnik für die professionelle Anwendung

Maximilian Kuehn: Wenn wir bei den Kunden Arbeitsabläufe begutachten, wollen wir immer mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sprechen und ihre Ideen aufgreifen. Nichts ist schlimmer als neu angeschaffte Hilfsmittel, die keiner nutzt. Das sind tote Investitionen.

Silke Kruschwitz: Wenn es um Akzeptanz geht, müssen wir uns auch klar machen, wie vielfältig unsere Zielgruppe ist. Prävention ist von den Menschen abhängig. Wir müssen die Einzelnen und unterschiedliche Berufsgruppen im Blick haben. Mitarbeitende in der Logistik brauchen eine andere Ansprache als Beschäftigte in der Verwaltung.

Patrick Gaß: Dieser Aspekt der Vielfalt trifft auch auf die Gefährdungsbeurteilung zu. Wir können beispielsweise nicht eine Gefährdungsbeurteilung für alle Büroarbeitsplätze machen. Der Bewegungsapparat wird einfach unterschiedlich beansprucht. Der oder die Verantwortliche muss hin zum Arbeitsplatz, mit den Menschen sprechen, um die Belastungsunterschiede zu erkennen.

Maximilian Kuehn: Bei uns ist daher auch der Anteil an Präventionsberatung enorm gewachsen. Aber das lohnt sich. Die Erfahrung zeigt: Eine einfache, manchmal individuelle Lösung für einen Arbeitsablauf, die ein Beschäftigter akzeptiert, ist viel mehr wert und schont das Muskel-Skelett-System als die teure Lösung.

Silke Kruschwitz: Prävention nach dem Gießkannenprinzip bringt nämlich nichts. Bei großen Unternehmen passiert das schneller, die haben den Einzelnen nicht mehr so im Blick. Kleine Betriebe sind hier klar im Vorteil. Man kennt sich und bekommt schneller mit, wenn Probleme entstehen und Belastungen gehäuft auftreten. Die kleinen Betriebe haben eher das Problem, Veränderungen auf den Weg zu bringen. Aber dafür gibt es Kooperationspartner wie die Berufsgenossenschaften, Krankenkassen oder regionale Physiotherapie-Praxen. Die beraten, wie sich Muskel-Skelett-Erkrankungen vermeiden lassen.

Porträt von Maximilian Kuehn von der Firma Expresso

Eine einfache Lösung, die Beschäftigte akzeptieren, ist oft viel mehr wert als die teure Lösung.

Maximilian KuehnTeamleiter Vertriebsaußendienst und Gebietsverkaufsleiter für angetriebene Handhabungs- und Transportsysteme bei Expresso in Kassel

Maximilian Kuehn: Für uns sind auch die Sicherheitsbeauftragten in den Unternehmen wichtig. Sie haben den Überblick, wo was im Unternehmen passiert. Wie sind beispielsweise die Abläufe im Wareneingang, und wie beim Warenausgang? Wir möchten immer vorlaufende und nachfolgende Prozesse im Blick haben, wenn wir über Veränderungen sprechen. Sonst kann Prävention nicht nachhaltig sein.

Silke Kruschwitz: Damit sich Verhalten ändert, muss Gesundheit auch optisch präsent sein im Unternehmen. Wir haben beispielsweise ein Team von 35 externen Trainerinnen und Trainern. Alle tragen ein knallrotes T-Shirt mit unserem „Fit mit Würth“-Logo, damit sie überall erkannt werden. Unsere Beschäftigten wissen, die im roten T-Shirt kümmern sich um Gesundheit. Die können mir Tipps geben, und ich kann sie um Rat fragen. Ich selbst bin schon seit fast 30 Jahren bei Würth und für viele das Gesicht für das Thema Gesundheit.
 

Porträt von Patrick Gass, Aufsichtsperson BGHW

Kontinuität zahlt sich aus. Auch kleine Schritte bewirken viel.

Patrick GaßAufsichtsperson bei der BGHW, leitet das Themenfeld Ergonomie und ist Disability-Manager.

Patrick Gaß: Hilfreich sind auch Multiplikatoren. Silke, wir haben uns vor einigen Jahren kennengelernt, als ihr an den verschiedenen Standorten Gesundheitslotsen etablieren wolltet und uns von der BGHW gefragt habt, wie ihr so ein Netzwerk aufbauen könnt.

Silke Kruschwitz: Genau, wir müssen immer wieder kreativ sein, um alle Beschäftigten zu erreichen. Durch die Corona-Pandemie haben wir beispielsweise unser digitales Angebot ausgeweitet und bieten nun viele Kurse in hybrider Form an. Für die Logistik haben wir ein Kraftmobil. Das kommt zwei Mal pro Woche in jeder Schicht direkt an den Arbeitsplatz, damit die Kolleginnen und Kollegen ein kurzes Muskeltraining zur Entlastung absolvieren können.

Patrick Gaß: Von solchen kreativen Ideen können auch andere profitieren. Wenn ich bei meinen Betriebsbesichtigungen gute Ideen für sicheres und gesundes Arbeiten sehe, sage ich immer: Meldet euch dafür bei der Goldenen Hand an. Das ist der jährlich stattfindende Präventionspreis der BGHW, der gute Ideen auszeichnet.

Silke Kruschwitz: Auf jeden Fall muss uns allen klar sein, dass ein langer Atem wichtig ist …

Patrick Gaß: … und dass kleine Schritte viel bewirken.

Das Kraftmobil – Training am Arbeitsplatz

Produktionshalle mit drei Personen und Kraftmobil

Das Heben und Tragen in der Logistik ist für viele Beschäftigte eine körperliche Herausforderung und beansprucht das Muskel-Skelett-System. Bei Adolf Würth in Künzelsau kommt daher zwei Mal pro Woche das Kraftmobil an jeden Arbeitsplatz, in jeder Früh- und Spätschicht. Auf dem Kraftmobil befinden sich Trainingsgeräte, die regelmäßig gewechselt werden, um unterschiedliche Muskelgruppen anzusprechen. Die Sport- und Physiotherapeuten von „Fit mit Würth“ – gut zu erkennen an ihren knallroten T-Shirts – bieten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mithilfe des Kraftmobils ein kurzes gezieltes Training als Ausgleich zu den Tätigkeiten in der Logistik an. „Indem wir mit dem Kraftmobil an den Arbeitsplatz der Schichtarbeiterinnen und -arbeiter kommen, senken wir die Hemmschwelle, sich mit der eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen“, sagt Sporttherapeutin Silke Kruschwitz. Auch wenn das Training zeitlich begrenzt ist, der Anreiz sei da, so Kruschwitz, zu den Therapeuten baue sich Vertrauen auf und Muskel-Skelett-Beschwerden können besprochen werden.

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Patrick Gaß

Aufsichtsperson BGHW, Leiter Themenfeld Ergonomie und Disability Manager

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