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Psychische Belastung während der Pandemie – ein Erfahru

ca. 5 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Psychische Belastungen bei den Beschäftigten im Blick haben, Gesprächsmöglichkeiten anbieten und die Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen durchführen: Das empfiehlt die BGWH ihren Mitgliedsunternehmen in den Zeiten der Pandemie.
  • Die beiden BGHW-Aufsichtspersonen Verena Bucher und Ercan Tekçe berichten aus ihrem Arbeitsalltag.
  • Die Kooperation mit Arbeitspsychologinnen und -psychologen ist jetzt besonders hilfreich, wie Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann sagt.
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Seit bald zwei Jahren müssen sich Unternehmen mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen auseinandersetzen. Was macht die Pandemie mit der Psyche der Beschäftigten? HUNDERT PROZENT hat mit zwei Aufsichtspersonen gesprochen. Sie erzählen, wie sie das Geschehen in den Betrieben erleben, warum es wichtig ist, die psychischen Belastungen ernst zu nehmen und warum die Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen gerade jetzt eine wichtige Funktion hat.

Verena Bucher und Ercan Tekçe sind Aufsichtspersonen der BGHW. Sie ist in den ländlichen Gebieten im östlichen Baden-Württemberg für die Betriebe ansprechbar. Er mitten in Berlin. Als die Corona-Pandemie begann, gingen beide zunächst ins Homeoffice. „In dieser Zeit haben wir bei der BGHW die FAQs, die ‚häufig gestellten Fragen‘, rund um die Corona-Pandemie für die Mitgliedsbetriebe erstellt. Wir konnten dabei gut unsere branchenspezifischen Kenntnisse einbringen, damit die Hilfestellungen so konkret und praxisnah wie möglich waren“, sagt Tekçe. 

Einfach da sein, beraten und eine schnelle Lösung finden, das hat sich in der Krise bewährt.

Ercan TekçeAufsichtsperson BGHW, Berlin

Pandemie erfordert schnelles Handeln 

Außerdem stellte die BGHW Aushänge zu Hygienebestimmungen und Abstandsregeln für die Mitgliedsbetriebe als Download zur Verfügung. Ercan Tekçe übersetzte sie ins Türkische. Diesen Service fanden viele der türkischen Supermarktbetreiber, die er betreut, großartig.  „Eine unkomplizierte Vorgehensweise war das A und O in der Pandemie: Einfach da sein, beraten und schnelle Lösungen finden“, sagt Tekçe. „Ich habe die Aushänge in den Supermärkten verteilt und beispielsweise mitüberlegt, wie sich die Kassen einhausen lassen, um sich vor dem Virus zu schützen.“ Die Unsicherheit war groß, alle haben das Gespräch gesucht und brauchten einen praxistauglichen Arbeitsschutz.

Fürsorgepflicht wahrgenommen

Das erlebte auch Verena Bucher: „Auf mich kamen viele Betriebsärztinnen und -ärzte zu, die Rat suchten, aber auch Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Anfangs ging es viel um organisatorische und strukturelle Maßnahmen.“ Bucher war begeistert vom Einfallsreichtum und Engagement der Verantwortlichen für den Pandemie-Schutz der Beschäftigten. Eine wichtige Maßnahme im Einzelhandel: Security im Eingangsbereich der Geschäfte. „Das haben besonders die weiblichen Angestellten als große Entlastung erlebt“, berichtet Bucher. 

Porträt Aufsichtsperson BGWH Verena Bucher

Unternehmen müssen Beschäftigten Gesprächsmöglichkeiten anbieten und die Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen durchführen.

Verena BucherAufsichtsperson BGHW, Baden-Württemberg

Psychische Belastung steigt – Gefühl wie im Gefängnis

Nachdem die wichtigsten Maßnahmen getroffen waren, traten ab dem zweiten Lockdown die psychischen Belastungen zutage, die sich laut Bucher ganz unterschiedlich darstellten: Die einen Unternehmen hatten Sorge, über die Runden zu kommen, die anderen wussten sich vor Arbeit und Kundenansturm kaum zu retten. Die Aussagen gingen von „Ich kann meinen Leuten keine Antwort geben, wie es im Frühling weitergeht“ bis „Wir sind völlig überlastet“. Auch Ercan Tekçe erzählten die Angestellten immer häufiger von Schlafstörungen und vom zermürbenden Hamsterrad. Sehr eindrücklich schilderte ihm eine Supermarktmitarbeiterin: „Ich fühle mich wie im Gefängnis. Morgens zur Arbeit, den ganzen Tag mit der Maske hinter der Plexiglasscheibe sitzen, abends nach Hause, schlafen und am nächsten Tag geht’s von vorn los. Der Weg zwischen Arbeit und Zuhause ist der Hofgang.“ 

Gemeinsam mit der Psychologin vor Ort

Mittlerweile häuften sich auch bei Verena Bucher die Anrufe und Hinweise von Versicherten, die psychisch an ihre Grenzen kamen. Sei es anonym oder im direkten Gespräch. Schlaflosigkeit, schlechte Laune, Resignation und Perspektivlosigkeit machten sich breit. Verena Bucher nahm zu ihren Betriebsbesichtigungen häufig ihre Kollegin Kathrin Schwarzmann mit. Sie ist Arbeits- und Organisationspsychologin bei der BGHW und wurde bei den Besichtigungen als wichtige Ansprechpartnerin geschätzt. Auch mit Dagmar Veigel, Arbeitspsychologin im Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart, ging sie in die Betriebe. „Das kam sehr gut an“, so Bucher. „Die Hemmschwelle war für die Beschäftigten viel niedriger. Sie haben offen erzählt, wie die Corona-Pandemie sie psychisch belastet, und haben sich Tipps geben lassen, wie sie damit umgehen können.“ 

Porträt Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann

Je länger der Ausnahmezustand anhält, desto höher ist das Risiko, dass Beschäftigte psychische Störungen entwickeln.

Kathrin SchwarzmannArbeits- und Organisationspsychologin, BGHW
Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann und Aufsichtsperson Verena Bucher im Gespräch
Aufsichtsperson Verena Bucher (links) und Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann haben während der Corona-Pandemie häufig Betriebe gemeinsam besucht.

Niemanden allein lassen 

Die Krise zeigte bzw. zeigt allen, wie wichtig es ist, mit jemandem über die Probleme sprechen zu können – egal, ob es sich dabei um eine externe oder eine interne Person handelt. „Die Unternehmen müssen ihren Beschäftigten Gesprächsmöglichkeiten bieten“, sagt Bucher. An die Belegschaft sei dies das Signal: Wir lassen euch nicht allein. Manche Unternehmen mit mehreren Filialen hätten beispielsweise Ansprechpartner mit psychologischer Vorbildung in der Zentrale geschaffen, so Bucher. „Sehr gut!“, so die Resonanz einiger Beschäftigten: „Ein neutraler Blick von außen ist manchmal hilfreich.“ „Gar nicht gut“, war die Rückmeldung der anderen: „Die sind zu weit weg von unseren Problemen! Wie vertraulich behandeln die meine Sorgen?“ In solchen Fällen verwies Bucher auf die Ausbildung zur psychologischen Erstbetreuung – eine Ausbildung für Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die die BGHW finanziell unterstützt (siehe auch Hinweisbox unten).

Systematisch für Wohlbefinden sorgen und Gefährdungsbeurteilung nutzen

Um die Unternehmen für die psychischen Belastungen zu sensibilisieren, hat Arbeitspsychologin Kathrin Schwarzmann gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der DGUV eine Handlungshilfe mit einer Checkliste entwickelt, die auf die psychologischen Belastungen durch die Corona-Krise eingeht. „Die veränderte Arbeitssituation durch die Pandemie bringt für die Beschäftigten Belastungen mit, die vorher nicht oder in nicht so ausgeprägter Form existierten“, sagt sie. „Die Gefahr, dass Mitarbeitende psychische Störungen wie Angststörungen, Schlafstörungen oder Depressionen entwickeln, erhöht sich, je länger der Ausnahmezustand anhält.“ Es sei wichtig, so Schwarzmann, dass Unternehmen sich damit auseinandersetzen. Verena Bucher und Ercan Tekçe haben in den vergangenen Wochen erlebt, dass immer mehr Unternehmen die psychischen Probleme erkennen, die auf sie und ihre Beschäftigten zukommen. Sie empfehlen den Unternehmen, die Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen durchzuführen. „Unsere kostenlosen Seminare zu diesem Thema können den Betrieben dabei eine gute Hilfestellung sein“, sagt Bucher.

Ausbildung psychologische Erstbetreuung

Um Betroffene nach einem Gewaltereignis noch besser aufzufangen, können die Kolleginnen und Kollegen eine wichtige Rolle übernehmen: mit der psychologischen Erstbetreuung. Die BGHW unterstützt die Ausbildung zum Psychologischen Erstbetreuer (siehe unten Services und Downloads). Mehr dazu finden Sie auf der BGHW-Homepage. Lesen Sie dazu auch „Psychologische Erstbetreuung nach traumatischen Erlebnissen“.

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