Das Wichtigste im Überblick
Zeitdruck und Stress machen Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer krank! Und nicht nur das. Diese Faktoren reduzieren die Aufmerksamkeit und Konzentration und verursachen somit viele verheerende Unfälle auf Deutschlands Straßen. Wer am Steuer eines Brummis sitzt, sollte sich daher seiner Stresstoleranz und der gesundheitlichen Risiken bewusst sein und in seinen Arbeitsalltag stressreduzierende Strategien integrieren.
Moderne Trucker und Truckerinnen. Sie transportieren Tomaten aus der Toskana, Wein aus Frankreich oder Möbel aus Schweden. Dafür stehen sie permanent unter Zeitdruck und Stress. Die Folgen? Tragische Unfälle. Allein 2020 sind auf Deutschlands Straßen mehr als 1.000 Menschen bei Unfällen gestorben, an denen ein Güterkraftfahrzeug beteiligt war. Was sind die Ursachen? Und was können Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen tun, um sich und andere zu schützen?
Eine Szene auf einer deutschen Autobahn: Ein Lkw-Fahrer kann nicht rechtzeitig bremsen und kracht mit hohem Tempo in ein Stauende. Meistens endet das tödlich. Wie bei einem Unfall auf der A44 bei Paderborn. Drei Menschen starben. Wenige Tage zuvor kamen bei einem ähnlichen Fall – dieses Mal auf der A7 – drei Pkw-Insassen ums Leben. Diese Horrorunfälle sind nicht selten. Laut Statistischem Bundesamt sind 2020 bei Verkehrsunfällen mit Güterkraftfahrzeugen 1.003 Menschen gestorben, allein auf den Autobahnen waren es 429 Menschen, jeder Vierte davon ein Lkw-Fahrer (109). Kaum anders die Situation auf den Straßen innerorts: Bei insgesamt 20.636 Unfällen mit Personenschaden starben 574 Menschen und wurden 5.011 schwer verletzt. Jährlich ereignen sich innerorts bis zu 40 tödliche Abbiegeunfälle mit Radfahrern, so der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC). Das sind die nackten Zahlen. Sie sind zwar rückläufig und auf einem historischen Tiefstand, bedeuten dennoch für Jürgen Bönninger, Vorstandsmitglied im Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), ein Alarmzeichen: „Diese Zahlen sind einfach nicht akzeptabel, wenn wir das Ziel von null Verkehrstoten weiterhin konsequent verfolgen.“
Die häufigsten Unfallszenarien
Wie können solche Horrorunfälle vermieden werden? Dabei hilft zunächst ein Blick auf die Szenarien eines Verkehrsunfalls, in denen ein Lkw verwickelt ist. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat für den Zeitraum von 2002 bis 2015 Unfälle mit schweren Güterkraftfahrzeugen untersucht und dabei drei Konstellationen ausgemacht:
1. Auffahrunfälle
Die schweren Auffahrunfälle ereignen sich meistens auf Autobahnen (61 Prozent) und nicht innerorts (21 Prozent). Sie passieren tagsüber (79 Prozent) und auf trockener Straße (79 Prozent). In etwas mehr als der Hälfte (56 Prozent) der Fälle sind Fahrer schwerer Güterfahrzeuge Hauptverursacher. An mehr als zwei Drittel aller schweren Auffahrunfälle ist eine Sattelzugmaschine beteiligt. Unfallfaktoren sind zu geringer Abstand und eine nicht angepasste Geschwindigkeit.
2. Unfälle an Knotenpunkten
Die Unfälle an Knotenpunkten sind Ab- und Einbiegeunfälle mit Fahrzeugen, die entweder kreuzen, einbiegen oder entgegenkommen. Sie ereignen sich innerorts (58 Prozent) und tagsüber (82 Prozent). Der Unfallgegner ist meist ein Pkw (59 Prozent), danach folgen das Fahrrad (23 Prozent) und das Motorrad (9 Prozent). Fahrer der Güterfahrzeuge sind meistens Hauptverursacher der Unfälle (61 Prozent). Die Unfallgründe: das Nichtbeachten der Vorfahrtsregeln und Fehler beim Abbiegen.
3. Unfälle beim Spurverlassen
Unfälle beim Verlassen einer Spur passieren tagsüber sowohl auf Autobahnen (40 Prozent) als auch auf Landstraßen (38 Prozent) und innerorts (22 Prozent). Die Unfallschwere ist bei Dunkelheit und auf Landstraßen am höchsten. In mehr als der Hälfte der Fälle (55 Prozent) sind Fahrer der Güterfahrzeuge Hauptverursacher. Die Unfälle entstehen durch fehlerhaftes Wechseln der Spur beim Nebeneinanderfahren, beim Reißverschlussverfahren, beim Überholen oder durch nicht angepasste Geschwindigkeit.
Übermüdet und abgelenkt
Es sind offenbar immer dieselben Gründe, die zu Unfällen führen: zu geringer Abstand und eine nicht angepasste Geschwindigkeit. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), nennt weitere Gründe: „Der Fahrer kann es wegen Termindrucks eilig haben und zu dicht auffahren, er kann aber auch übermüdet oder abgelenkt sein.“ Übermüdet und abgelenkt? Woran liegt das? Der moderne Lkw-Fahrer ist längst nicht mehr der Held der Fernstraße. Der Konkurrenzkampf auf der Autobahn ist enorm. Das belastet, wirkt sich negativ auf das Verkehrsverhalten der Berufskraftfahrer aus und gefährdet auch andere Verkehrsteilnehmer, zum Beispiel die Rad- und Autofahrer. Nicht selten überschreiten Brummifahrer ihre gesetzlichen Tageslenkzeiten von neun bis zehn Stunden und halten vorgeschriebene Pausen und Ruhezeiten nicht ein. Einer Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zufolge beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Lkw-Fahrern 40 bis 60 Stunden. 42 Prozent der Befragten arbeiten sogar zwischen 61 und 80 Stunden und überschreiten deutlich die gesetzliche Grenze von maximal 48 erlaubten Arbeitsstunden pro Woche. Die Folgen sind Übermüdung und eine erhöhte Unfallgefahr.
Das Risiko von Müdigkeit wird häufig unterschätzt: Nickt ein Lkw-Fahrer auch nur für zwei Sekunden am Steuer ein, legt er bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h fast 45 Meter unkontrolliert zurück. Müde Fahrer reagieren langsamer, können sich schlechter konzentrieren und schätzen Situationen falsch ein. So entstehen viele Verkehrsunfälle. Berufskraftfahrer sollten also Anzeichen von Müdigkeit ernst nehmen, sie nicht ignorieren und rechtzeitig Pausen einlegen. Denn häufig fehlt ihnen ein erholsamer Schlaf, wenn sie ihr Fahrzeug lenken. Eine weiterer Unfallgrund ist die Ablenkung durch Telefonate oder durch das Posten in den sozialen Netzwerken während der Fahrt. Dabei sind die Augen des Fahrers auf das Smartphone gerichtet, statt auf das Lenkrad, die Fahrbahn und den Verkehr. Diese zwei bis drei Sekunden Blindflug können wie der Sekundenschlaf schlimme Folgen haben.
Zeitdruck macht krank
Auch der hohe Stress, dem die Fahrer ausgesetzt sind, ist ein enormes Risiko. Dabei spielt die sogenannte „Just in time“-Philosophie eine zentrale Rolle: Unternehmen reduzieren ihre Lagerhaltung, erwarten von ihren Zulieferern aber eine punktgenaue Anlieferung von Rohstoffen, Produkten und Betriebsmitteln. Das bedeutet für die Transportunternehmen und ihre Fahrer, die Ware termingerecht beim Kunden abzuliefern und immer die Fahrpläne einhalten zu müssen. Zeitverzögerungen durch Staus oder Unfälle werden gar nicht erst eingeplant. Sie könnten die enge Taktung durcheinanderbringen. Der tägliche Stress am Steuer macht die Berufskraftfahrer krank. Sie leiden häufig an Bluthochdruck, Magengeschwüren, Schlaflosigkeit und haben ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Unternehmen können auch hier unterstützen, indem sie Parkplätze für Lkw-Fahrer und -Fahrerinnen oder auch Sanitärräume anbieten. Das würde einen Stressfaktor stark reduzieren. Denn auch die Suche nach geeigneten Stellplätzen für die Pausen oder sauberen Duschen ist für viele Fahrer eine Tortur und deswegen eine psychische Überforderung.
Zu viele Aufgaben
Und nicht nur das! Der erlebte Zeitdruck ist ein weiterer Stressfaktor, der sich negativ auf das Fahrverhalten, die Arbeitsleistung und die Konzentration auswirkt. So können selbst die Aufgaben eines Fahrers beim Abbiegen zum großen Problem werden: der Gegenverkehr, der kreuzende Verkehr, überholende Autos, die Kurve mit dem meterlangen Fahrzeug, der Blick in die insgesamt sechs Fahrzeugspiegel und eventuell in den Monitor des Abbiegeassistenten – das ist alles innerhalb von Sekunden zu koordinieren und zu bewältigen. Menschen, die unter Druck stehen, können dann im entscheidenden Augenblick versagen und einen Radfahrer beim Abbiegen übersehen. Mit fatalen Folgen.
Pause machen, Stress abbauen
Stress reduziert Aufmerksamkeit und Konzentration, was mehr Fahrfehler verursachen kann. Deswegen ist es enorm wichtig, dass sich die Fahrer ihrer Stresstoleranz und der gesundheitlichen Risiken für ihren Körper bewusst sind und in ihren Arbeitsalltag Strategien integrieren, die den Stress reduzieren. Dafür einige Beispiele: Sie sollten regelmäßig Pausen mit Entspannungsübungen einlegen sowie auf ausgewogene Ernährung und körperliche Fitness achten. Zigaretten oder Koffein sind nicht geeignet, um den dauerhaften Stress zu kompensieren. Im Gegenteil. Ihr Konsum kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen und endet nicht selten in einer krankheitsbedingten Frühverrentung, weil der Körper irgendwann nicht mehr mitmacht.
Und wie können Lkw-Fahrer leichter Stress abbauen? Effektiv sind Entspannungsübungen, die sich während der Ruhezeiten oder im Stau durchführen lassen. Darüber hinaus bieten Berufsgenossenschaften wie die BGHW Seminare, Schulungen und Trainings rund um das Thema Gesundheit und Sicherheit für Berufskraftfahrer an. Dazu zählen auch Informationen rund um das richtige Be- und Entladen des Lkw, zum Umgang mit Müdigkeit und zu weiteren Aspekten der Gesundheit.