Das Wichtigste im Überblick
- 27 Jahre nach einem schweren Unfall, bei dem sein linker Fuß zertrümmert wurde, kann sich Thomas Ressing endlich wieder schmerzfrei bewegen.
- 20 mal wurde er bis heute operiert.
- Nach der Amputation des linken Unterschenkels 2017 sorgten Schwankungen im Umfang seines Amputationsstumpfes immer wieder für Probleme bei der Prothesenversorgung.
- Seit seinem Wechsel auf das Endo-Exo-System 2023 ist er beschwerdefrei.
- Im Gespräch mit HUNDERT PROZENT schildert der 61-Jährige, wie er seine Lebensqualität zurückgewonnen hat.
„Bitte amputieren Sie meinen Fuß.“ Diese schwere Entscheidung hat Thomas Ressing bis heute nicht bereut. 2017 wurde sein Unterschenkel abgenommen. „Damit ging eine zermürbende Zeit mit quälenden Schmerzen zu Ende“, betont er im Gespräch mit HUNDERT PROZENT.
Wie unermüdlich Ressing seit seinem Unfall im Juni 1997 bis heute für seinen Körper und seine Lebensqualität kämpft, das wissen auch sein Arbeitgeber Johannes Koenen und BGHW-Hilfsmittel-Beraterin Susanne Derdulski zu schätzen. Sie begleiteten ihn in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Prothesentechniker-Meister Christian Niehaus vom Sanitätshaus Grenzland.
Elektrisches Rollverdeck erleichtert Arbeit
„Ich bin stolz, einen solchen Mitarbeiter zu haben! Dieser Kampfgeist ist nicht selbstverständlich“, sagt Johannes Koenen, Betreiber des landwirtschaftlichen Lohn- und Fuhrbetriebs „Transporte und Agrarservice“ in Rees am Rhein. Für ihn fährt Thomas Ressing seit vier Jahren mehrere Touren täglich im 40-Tonner. Um seinem Mitarbeiter die Arbeit zu erleichtern, ließ Koenen in Abstimmung mit der BGHW ein elektrisches Rollverdeck am Auflieger anbringen, das Ressing per Knopfdruck öffnen und schließen kann. „Ich versuche natürlich, ihn so gut wie möglich zu unterstützen“, so Koenen.
Arbeitsbühne stürzte um
Thomas Ressing war als Kraftverkehrsmeister für einen Hersteller von Arbeitsbühnen tätig. Er wies gerade einen Kunden ein, als die Arbeitsbühne von den Ständern rutschte und umkippte. Durch den Sturz aus dem Korb wurde sein linker Fuß zertrümmert. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu schmerzhaften Komplikationen.
Therapien und psychologisches Gutachten
„Nach 20 Operationen hatte ich die Nase voll, war am Ende mit meiner Kraft,“ erzählt der BGHW-Versicherte. 2017 informierte Thomas Ressing seine BGHW-Ansprechpartnerin über seine Amputationsgedanken. „Gemeinsam haben wir alle Möglichkeiten abgewogen, eine Zweitmeinung eingeholt und uns intensiv mit der Problematik beschäftigt“, betont die Hilfsmittel-Beraterin Susanne Derdulski. Es folgten weitere Therapien und ein psychologisches Gutachten, bevor feststand: Der Fuß wird abgenommen.
Prothese verabschiedete sich
„Ich war einfach froh, als es soweit war“, erinnert sich der Vater zwei erwachsener Kinder. Die Amputation erfolgte 2018 in der BG Klinik Duisburg und lief ebenso ohne Komplikationen wie die folgende Rehabilitation, Stumpfheilung und Prothesenanpassung. Jedoch bereiteten ihm immer häufiger Schwankungen des Beinumfangs Probleme. „Beim Säubern der Lkw-Kabine verabschiedete sich plötzlich meine Schaft-Prothese, rutschte aus dem Führerhaus. Und das war kein Einzelfall“, beschreibt Ressing. Der Stumpf wurde im Tagesverlauf dick und wieder dünner, so dass seine Prothese keinen Halt mehr hatte und sich vom Schaft – der Verbindungsschale zwischen der Prothese und dem Stumpf – löste.
Alle Möglichkeiten ausgeschöpft
Der 61-Jährige beriet sich mit Susanne Derdulski und Christian Niehaus. „Alles, was es an Technik gibt, haben wir ausprobiert“, erzählt der Experte. Alle Möglichkeiten wurden ausgeschöpft, nichts brachte die gewünschte Besserung. In Zusammenarbeit mit der BGHW wurden verschiedene Schaft-Systeme ausprobiert „Die Stumpfschwankungen waren zu stark“, berichtet Derdulski. Sie schaltete Rainer Lütkemeyer, Fachberater für prothetische Versorgungen der BGHW, ein. Gemeinsamen mit Thomas Ressing, der sich im Laufe der Jahre viel Wissen aneignete, entschieden sie sich für ein neues Prothesensystem. „Die sogenannte Endo-Exo-Prothese eignet sich besonders für Menschen, die Probleme mit Weichteilen und Stumpfschwankungen haben“, erläutert Lütkemeyer, der selbst eine Endo-Exo-Prothese trägt. „Dadurch, dass sie knochenseitig geführt wird, sind Stumpfschwankungen nicht relevant“, weiß er.
Wieder Normalität leben
Für Thomas Ressing war die Entscheidung schnell getroffen: Im März 2023 erfolgte der erste Schritt der zweistufigen Osseointegration: Eine Komponente wurde in den Knochen implantiert. Vier Wochen später folgte die Verankerung mit der zweiten Komponente, einem Schraubsystem, das an der Prothese befestigt wird. Nach weiteren vier Wochen Rehabilitation konnte es Ressing kaum erwarten, in seinen 40-Tonner zu steigen. „Ich war froh, wieder Normalität leben zu können“, so der BGHW-Versicherte. „Ich bin zwar nicht der glücklichste Amputierte, aber nahe dran. Und ich habe das Gefühl, meinen Fuß zu spüren. Und das nach all den Jahren, in denen ich mich 32 Monate auf Gehilfen fortbewegt habe“, betont er. In Kürze bekommt Thomas Ressing einen Sportfuß. Mit dem lässt es sich auf unebenem Boden besser gehen. Ideal fürs Wandern. (rik)
Endo-Exo: Mit einem Handgriff verbunden
Die Endo-Exo-Prothese besteht aus zwei Komponenten: Eine wird in den Knochen des Amputationsstumpfes implantiert, die andere in der Prothese verankert. Beide Komponenten können mit einem Handgriff verbunden werden. „Durch die knochenseitige Führung lassen sich Fuß und Schrittmomente viel intensiver spüren“, sagt Rainer Lütkemyer, Fachberater für prothetische Versorgungen der BGHW. „Das Prinzip ist dem Zahnimplantat nachempfunden und sehr alltagstauglich und vielseitig“, weiß er aus eigener Erfahrung. Wegen des Stomas (Hautöffnung) ist eine akribische Hygiene wichtig.