Vieles ist besser geworden
Die Fortschritte, die Steven Wedhorn in den vergangenen beiden Jahren gemacht hat, sind hervorragend“, zeigen sich die BGHW-Reha-Beraterin Sarah Baumgärtner und Reha-Berater Benjamin Finkenauer beeindruckt. Sie begleiten ihn seit seinem Unfall und stehen im engen Austausch mit Ärzten und Therapeutinnen. „Es ist vieles besser geworden. Aber das Sprechen fällt mir noch schwer. Und ich weiß auch, dass es nie mehr so wird, wie es war“, sagt die gelernte Fachkraft für Lagerlogistik. An den Unfall und die Zeit danach kann sich Steven Wedhorn nicht erinnern. Von Erzählungen weiß der BGHW-Versicherte, dass er beim Säubern des Daches im Sprendlinger Weinabfüllbetrieb seines früheren Arbeitgebers auf ein Oberlicht trat. Das brach ein, wodurch der damals 31-Jährige fünf Meter in die Tiefe stürzte und sich schwer verletzte. Durch den Sturz erlitt er ein schweres Schädelhirntrauma sowie Becken-, Handgelenks- und mehrere Rippenbrüche.
Uniklinik, Fachklinik, Therapiezentrum
„Nach dem Unfall wurde Steven Wedhorn in der Mainzer Uniklinik behandelt, bis er so stabil war, dass er zur Weiterbehandlung in die Fachklinik für neurologische Frührehabilitation in Bad König verlegt werden konnte“, berichtet Benjamin Finkenauer. Bis Juni 2016 hatte sich sein Gesundheitszustand so weit verbessert, dass er in eine betreute Wohngruppe des Pflege- und Therapiezentrums Riedstadt umsiedeln konnte. „Ab da setzt meine Erinnerung wieder ein. Mit meinem Kopf und meinem Körper ging es bergauf“, erinnert sich Steven Wedhorn. Im Sommer 2017 zog er nach Sprendlingen zu seinen Eltern. Sie waren inzwischen mit Unterstützung der BGHW in eine barrierefreie Wohnung gezogen. Dort konnte sich Steven gut mit Rollator und Rollstuhl bewegen. Ein selbstständiges Leben ist für ihn durch die Unfallfolgen bislang nicht möglich. In der Gau-Algesheimer Praxis „Physiologisch“ wird seine medizinische Rehabilitation seit 2017 fortgesetzt. „Als Steven zu uns kam, wurde er von seiner Mutter im Rollstuhl gefahren. Er konnte nur wenige Schritte gehen und war nicht gut zu verstehen. Die Atemluft reicht nicht zum flüssigen Sprechen, der Zungenschlag kann die Worte nicht richtig formen“, erklärt Christine Blass, Physiotherapeutin und Inhaberin von „Physiologisch“. Diese sogenannte Dysarthrie beeinträchtige die Sprechmotorik des heute 40-Jährigen.
Zusammenspiel aller Sinne
Durch die Verletzungen des Gehirns sind seine Aufmerksamkeit und das Konzentrationsvermögen beeinträchtigt. „Steven hat die Welt nicht mehr wahrgenommen, in der er zurechtkommen muss. Sinneswahrnehmungen wie Fühlen, Sehen, Hören, Riechen waren auf mehreren Ebenen gestört. All das mussten wir erst einmal auflösen“, erläutert Blass. „Und so erarbeiten wir bis heute das Zusammenspiel aller Sinne. Das Ziel, laufen zu können, erreicht man nur, wenn man den Boden unter den Füßen spürt!“, ergänzt sie.
Rollator ist Vergangenheit
Mehrmals wöchentlich trainiert Steven in der Lernwerkstatt der Praxis seine Sprechmotorik und körperliche Wahrnehmung. In der neurologischen Physiotherapie stehen Kraft, Ausdauer und Koordination für das alltägliche Leben im Fokus. Der Rollator ist längst Vergangenheit. Seine Therapeutin Verena Gante überzeugte ihn davon, dass er den nicht mehr braucht. „Ich habe erst gezögert. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich das geschafft habe“, so Wedhorn
Ganzheitlich ausgerichtete Therapie
Christine Blass und Team arbeiten nach der ganzheitlich ausgerichteten Methode „Brainrestart“. Ziel dieser Reha-Maßnahme: Den Alltag alleine und selbstbestimmt zu meistern. „Gemeinsam erarbeiteten wir eine Kompetenzerhebung: Was kann er? Wo kann er andocken? Wie lang dauert die Aufmerksamkeit an?“, beschreibt Blass. Daraus resultierte eine Zielvereinbarung, die stetig aktualisiert und angepasst wird. 2022 und 2023 zog Steven Wedhorn zu dreiwöchigen stationären Intensivtherapien in die zur Praxis gehörende Therapiewohnung. Dort trainierte er, selbstständig zu leben. Er kaufte ein, kochte, beschäftigte sich mit Ernährung und absolvierte seine Therapien. Physiotherapeut Simon Emmel unterstützte ihn und steht ihm bis heute als Alltagsbegleiter zur Seite.
Festes Teammitglied im Betrieb
Der nächste große Schritt: für Steven eine Tätigkeit außerhalb der Therapie zu finden. „Der Zufall wollte es, dass wir seinen früheren Klassenkameraden Peter Gerharz trafen. Er bot ihm einen Praktikumsplatz in seiner Gau-Algesheimer Weinkellerei an“, erinnert sich Christine Blass. Den Arbeitsweg – die Bahnfahrt, das Umsteigen und den Fußweg bis zum Arbeitsplatz – trainierte er mit Alltagsbegleiter Simon Emmel. In den Arbeitsbetrieb der Weinkellerei fand er sich schnell ein. „Unsicherheiten zu Beginn der Tätigkeiten gingen schnell in Routine über“, sagt sein Chef Peter Gerharz. Steven Wedhorn ist jetzt festes festes Teammitglied im Betrieb „Gerharz Weinerlebnis“, wo er zweimal wöchentlich beim Verpacken, Weinausschank oder beim Postversand hilft. „Besser geht’s nicht. Stevens Tätigkeiten trainieren auch seine kognitiven Fähigkeiten“, so Christine Blass. Sie steht im ständigen Austausch mit dem Betrieb. Für die BGHW-Reha-Beratenden Sarah
Baumgärtner und Benjamin Finkenauer ist diese enorme Entwicklung noch Jahre nach dem schweren Unfall außergewöhnlich. Wedhorns Unterstützung durch den Alltagsbegleiter wurde inzwischen reduziert, seine Arbeit im Weingut hat er aufgestockt. „Ich bin froh, dass ich die Chance bekommen habe, hier zu arbeiten“, sagt er. „Es ist ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden.“ [rik]