Wenn Menschen unter Lärmstress stehen, steige die Fehlerquote, sagt Anne Gehrke, Diplom-Psychologin am Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG) der DGUV. Sie ist Mitautorin der Untersuchung „Lärmbelastung im Einzelhandel“, die jetzt als DGUV Report vorliegt. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von BGHW, IAG und dem Institut für Arbeitsschutz (IFA) der DGUV.
Musikgedudel, Maschinenlärm, Stimmengewirr – Beschäftigte in Handel und Logistik müssen sich täglich viel anhören. Doch kann diese Geräuschkulisse auch krank machen? Antworten darauf gibt Diplom-Psychologin Anne Gehrke im Interview.
Frau Gehrke, ob bei der Arbeit oder zu Hause – wir sind den ganzen Tag von Lärm umgeben. Was genau ist Lärm?
Unter Lärm verstehen wir Geräusche, die unerwünscht, belästigend oder schädigend sind. Lärm kann die Gesundheit beeinträchtigen und bleibende Schäden verursachen. Schwerhörigkeit durch Lärm ist eine der am häufigsten angezeigten Berufskrankheiten.
Wann macht Lärm krank?
Rein physisch ist zunächst das Innenohr von Lärm betroffen. Liegt der Geräuschpegel längere Zeit bei über 85 Dezibel, das entspricht etwa dem Krach auf einer Hauptverkehrsstraße, dann können die sensiblen Haarzellen im Innenohr dauerhaft geschädigt werden Aber auch einmalige Ereignisse, etwa ein lauter Knall, können eine Hörminderung oder Gehörschäden hervorrufen. Doch Lärm schädigt nicht nur das Ohr, sondern wirkt über Gehirn und zentrales Nervensystem auf den Menschen insgesamt. Lärm ruft Stressreaktionen hervor, die sich negativ auf Arbeit und Gesundheit auswirken können.
Was bedeutet das konkret?
Es ist erwiesen, dass die Fehlerquote bei der Arbeit steigt, wenn Menschen unter Lärmstress stehen. Außerdem beeinflusst Lärm die Kommunikation untereinander, Gesprächspartner und Kollegen reagieren schneller reizbar und aggressiv. Und wie wir wissen, kann Stress langfristig auch körperlich krank machen. Zum Beispiel steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Muskel-Skelett-Erkrankungen.
Wie wirkt sich Lärm im Einzelhandel aus?
Im Einzelhandel ist eine Lärmschwerhörigkeit unwahrscheinlich. In unserer Untersuchung ging es uns vor allem darum, wie die Geräusche aus dem Arbeitsumfeld psychisch auf die Beschäftigten einwirken. Das kann auch durch Lärm sein, der nicht gehörgefährdend ist. Zur Geräuschkulisse gehören etwa die permanente Beschallung durch Musik und Werbeeinspielungen, Lautsprecheransagen, laute Gespräche von Kunden oder auch die akustischen Signale der Kassen.
Und wie gestresst sind die Beschäftigten?
Erstaunlicherweise nicht so, wie man sich das als Kunde vielleicht vorstellt. Die Untersuchung zeigt: Hintergrundmusik wird oftmals als durchaus angenehm empfunden. Grund für diese positive Bewertung könnte zum Beispiel sein, dass die Beschäftigten die Lautstärke selbst regeln können oder an der Musikauswahl beteiligt werden. Die Einschätzung könnte aber auch abhängig von den konkreten Arbeitsaufgaben sein: Müssen intensive Kundengespräche geführt werden, oder sind es eher monotone Arbeiten wie Scannen oder Wareneinräumen. Im Kassenbereich, wo Geräusche aus vielen Quellen kommen, ist zusätzliche Musik hingegen eher unerwünscht.
Was können Unternehmen tun, um den Geräuschpegel zum Beispiel im Kassenbereich zu senken?
Am Anfang steht die Gefährdungsbeurtei lung, dabei sollten die Beschäftigten einbe zogen werden. Die Beteiligung der Beleg schaft stellte sich auch in unserer Untersuchung als ein Baustein heraus, der wichtig für den Erfolg sein kann. Technisch geht danach vieles: Das fängt bei Schubladen mit Einzugsdämpfern an und endet bei der akustischen Gestaltung der Kassentische. Generell sollte Musikbeschallung in diesen, durch den dichteren Publikumsverkehr belasteten Bereichen, leiser sein oder sogar abgeschaltet werden. Hilfen für die Gefährdungsbeurteilung und einen Überblick über alle Möglichkeiten bieten die neuen Wissensmodule „Psychische Belastung durch Lärm im Einzelhandel“ und „Lärmmindernde Gestaltung von Arbeitsstätten im Einzelhandel“. Außerdem kann sich jedes Mitgliedsunternehmen zusätzlich individuell von der BGHW beraten lassen.