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Mit Interview

Das Allerwichtigste – das Gespräch am Arbeitsplatz

ca. 5 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Alle Beschäftigten können sich als Sicherheitsbeauftragte bewerben, unabhängig von der Qualifikation oder vom Ausbildungsstand. 
  • Sicherheitsbeauftragte sollten mit einfachen Themen anfangen. Zum Beispiel mit Checklisten zum Thema Notausgänge oder Rettungswege.
  • Das Gespräch am Arbeitsplatz, die Kommunikation mit den anderen Beschäftigten, ist mit Abstand das Allerwichtigste.
  • Entscheidend ist nicht die Anzahl der Sicherheitsbeauftragten, sondern die fachliche, räumliche und zeitliche Nähe zu den Beschäftigten.
  • DGUV Information Sicherheitsbeauftragte zum Download.

Sicherheitsbeauftragte spielen im Betrieb eine wichtige Rolle, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Welche Qualifikationen müssen sie dafür mitbringen, und wie sieht ihr Job in der Praxis aus? Ein Gespräch mit Gerhard Kuntzemann, dem Leiter Sachgebiet Sicherheitsbeauftragte für die DGUV. Teil 2 unserer Serie "Sicherheitsbeauftragte".

Welche Erfahrungen muss man mitbringen, um Sicherheitsbeauftragter zu werden?

Gerhard Kuntzemann: Jeder kann sich dafür bewerben, unabhängig von der Qualifikation oder vom Ausbildungsstand. Der Sicherheitsbeauftragte ist ein Kollege unter Kollegen mit keiner besonderen Vorbildung. Von Vorteil ist aber eine mehrjährige Betriebszugehörigkeit. Wer lange dabei ist, kennt Kollegen und Betriebsabläufe. Ehrliches Interesse an Aspekten der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sollte natürlich ebenfalls vorhanden sein. Die Anforderungen sind also nicht sehr hoch. Keiner muss der Sprecher oder die „Klassenbeste“ sein, um ernannt zu werden.

Sind Auszubildende weniger geeignet?

Gerhard Kuntzemann: Auszubildende als Sicherheitsbeauftragte haben einen Vorteil: Sie kommunizieren besser mit anderen Auszubildenden, weil das Verständnis und die Nähe untereinander einfach größer sind. Es gibt allerdings auch einen großen Nachteil: Sie kennen sich oft nicht gut mit den Betriebsabläufen aus. Und wenn ein 19-Jähriger einer 55-jährigen Kollegin sagt, ‚Du machst das nicht richtig‘, können Probleme entstehen. Etablierte Mitarbeitende haben es da einfacher. Es gab auch bereits Versuche, zum Beispiel in Werften, wo Auszubildende ihre Ausbildungsklassen auf Sicherheitsaspekte hingewiesen haben. Im Normalfall würde ich aber davon abraten, dass Auszubildende Sicherheitsbeauftragte werden.

Sicherheitsbeauftragte müssen also von ihren Kolleginnen und Kollegen akzeptiert werden? 

Gerhard Kuntzemann: Sie müssen mit den anderen reden können und dafür benötigen sie eine gewisse Akzeptanz. Die ergibt sich meistens durch die mehrjährige Betriebszugehörigkeit. Denn wer seinen Job ordentlich macht und weiß, was er tut, dem- oder derjenigen trauen die anderen auch Kompetenz im Bereich Sicherheit und Gesundheit zu.

Es ist hilfreich, wenn Sicherheitsbeauftragte die Möglichkeit haben, im Betrieb ein bisschen herumzukommen und den eigenen Arbeitsbereich auch mal zu verlassen.

Gerhard Kuntzemann, Leiter Sachgebiet Sicherheitsbeauftragte für die DGUV

Wie sollten Sicherheitsbeauftragte ihren Job in der Praxis wahrnehmen?

Gerhard Kuntzemann: Eigentlich ist es ganz leicht: mit offenen Augen durch den Betrieb gehen und nach dem Rechten schauen. Es ist hilfreich, wenn Sicherheitsbeauftragte die Möglichkeit haben, im Betrieb ein bisschen herumzukommen und den eigenen Arbeitsbereich auch mal zu verlassen. Sonst können sie nicht auf das Team einwirken. Sie kennen sich mit dem Arbeitsschutz im Betrieb aus. Wenn etwas vom Normalzustand abweicht, sprechen sie es an. Oder die Kollegen sprechen selbst an, was am Arbeitsplatz anders werden muss, weil es Risiken birgt.

Wie gelingt ein guter Start in der neuen Position?

Gerhard Kuntzemann: Sicherheitsbeauftragte sollten mit einfachen Themen anfangen. Zum Beispiel mit Checklisten zum Thema Notausgänge oder Rettungswege. Wie funktionieren sie im Betrieb? Wo sind Defizite? So laufen sich Sicherheitsbeauftragte ein bisschen warm in der neuen Funktion. Nachdem sie Schulungen besucht haben, erleiden Sicherheitsbeauftragte oft einen Praxisschock, wenn sie anfangen, ganz dicke Bretter zu bohren. Sie scheitern meistens damit und engagieren sich dann nicht mehr.  

Haben Sie noch weitere Tipps?

Gerhard Kuntzemann: Am Anfang ist es wichtig, sich mit der Gefährdungsbeurteilung auseinanderzusetzen, zumindest in dem Bereich, für den die Sicherheitsbeauftragten zuständig sind. Sie sollten einen Überblick haben und verstehen, was drinsteht. Sie kennen sonst den Normalzustand nicht und können Mängel nicht identifizieren. Die Gefährdungsbeurteilung ist also eine ganz wichtige Geschichte, die Sicherheitsbeauftragte kennen müssen. Eine große Hilfe ist unsere ‚Bibel‘, die DGUV Information 211-042 „Sicherheitsbeauftragte“. Sie enthält Praxischecks zu allen möglichen Themen wie Erste Hilfe oder Aktualität von Betriebsanweisungen. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann zum Start dort ein Thema aussuchen und so das Risiko minimieren, falsch zu beraten.

Das Gespräch am Arbeitsplatz, die Kommunikation mit den anderen Beschäftigten, ist mit Abstand das Allerwichtigste. Das kommt noch vor der Fachkenntnis.

Gerhard Kuntzemann, Leiter Sachgebiet Sicherheitsbeauftragte für die DGUV

Wie können Sicherheitsbeauftragte verhindern, etwas Falsches zu erzählen?

Gerhard Kuntzemann: Wer die Antwort auf eine Frage nicht sicher kennt, sollte den Kollegen lieber um etwas Geduld bitten und die gewünschte Information nachschlagen. Falsche Ratschläge zu erteilen, kann dem eigenen Ruf im Betrieb schaden.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Sicherheitsbeauftragte?

Gerhard Kuntzemann: Ganz eindeutig: mit langjährigen Kollegen und Kolleginnen über ihr Fehlverhalten im Arbeitsschutz zu sprechen. Es kann wirklich schwer sein, sie vom Tragen von Handschuhen oder Sicherheitsschuhen zu überzeugen. Oft lautet die Antwort: ‚Das mache ich schon seit 30 Jahren so.‘ Wenn Sicherheitsbeauftragte es zweimal, vielleicht sogar dreimal thematisiert habe, ist das kollegiale Gespräch irgendwann einmal ausgereizt und sie sollten den Weg zu Vorgesetzten suchen.

Die Kommunikation untereinander ist also extrem wichtig?

Gerhard Kuntzemann: Das Gespräch am Arbeitsplatz, die Kommunikation mit den anderen Beschäftigten, ist mit Abstand das Allerwichtigste. Das kommt noch vor der Fachkenntnis. Wenn die Kommunikation nicht funktioniert, dann ist auch das Grundwissen im Arbeitsschutz nutzlos.

5 Tipps für den leichten Einstieg als Sicherheitsbeauftragter:

  • Verschaffen Sie sich ausreichendes Arbeitsschutzwissen. Das schafft Vertrauen und Achtung bei Gesprächen mit Führungskräften und im Kollegium.
  • Machen Sie sich ein Bild  von den Gefährdungsbeurteilungen in Ihrem Arbeitsbereich.
  • Nehmen Sie an Rundgängen von Vertretern der BG oder von Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit durch Ihren Arbeitsbereich teil.  
  • Machen Sie mit, wenn neue PSA (z.B. Schutzhandschuhe, Schutzbrillen oder Gehörschutzmittel) getestet wird.
  • Unterstützen Sie neue Kolleginnen und Kollegen bei der Einweisung am Arbeitsplatz in Fragen des Arbeitsschutzes.
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Laut einer aktuellen DGUV-Umfrage bemängeln Sicherheitsbeauftragte, dass sie im Unternehmen nicht wahrgenommen werden. Stimmt das?

Gerhard Kuntzemann: Ja, das gibt es. Das betrifft oft Sicherheitsbeauftragte, die noch nicht lange dabei sind. Sie sind noch nicht etabliert. Sicherheitsbeauftragten, die fünf oder zehn Jahre dabei sind, passiert das eher selten. Häufig liegt es daran, dass das Thema im Betrieb keine wichtige Rolle spielt. Die Namen sind nicht am Schwarzen Brett angeschlagen, sie stehen nicht im Intranet oder sie wurden erst gar nicht in den Job eingeführt. Manchmal wissen Kolleginnen und Kollegen gar nicht, was Sicherheitsbeauftragte sind oder was sie machen. Auch das gibt es. Dann hat der Betrieb aber ein generelles Problem, weil er zum Beispiel keine Fehlerkultur pflegt und Probleme lieber unter den Teppich kehrt. Denn Sicherheitsbeauftragte sprechen ja Mängel gerade deshalb an, um Sicherheit herzustellen.

Was sollten Sicherheitsbeauftragte tun, um auf sich aufmerksam zu machen?

Gerhard Kuntzemann: Eigentlich muss das der Betrieb organisieren. Er sollte Sicherheitsbeauftragte öfter einbinden, zum Beispiel um persönliche Schutzausrüstungen zu testen. Dann können sie anschließend im Kollegenkreis davon erzählen. Sicherheitsbeauftragte müssen außerdem mit ihren Leuten ins Gespräch kommen, um zu erfahren, was ihnen unter den Nägeln brennt. Wenn sie diese Probleme aufgreifen können, dann sind sie als Sicherheitsbeauftragte weit vorn.

Und was sollte eine Führungskraft tun, um von den Sicherheitsbeauftragten stärker zu profitieren?

Gerhard Kuntzemann: Führungskräfte sollten Arbeitsschutz zum Thema machen. Damit wird den Sicherheitsbeauftragten automatisch eine höhere Priorität eingeräumt. Ebenfalls hilfreich ist, wenn Führungskräfte Sicherheitsbeauftragte an Begehungen zum Thema Arbeitsschutz beteiligen. Erstens wissen letztere vor Ort am besten Bescheid, und zweitens erkennen dann die anderen Beschäftigten die Bedeutung der Sicherheitsbeauftragten. Das steigert die Wertschätzung. Außerdem sollte sich eine Führungskraft für die ausreichende Qualifizierung von Sicherheitsbeauftragten einsetzen. Im Idealfall beinhaltet das eine Schulung zu Beginn der Tätigkeit und Fortbildungen alle drei bis fünf Jahre, damit sie fachlich auf dem aktuellen Stand sind. Leider haben je nach Branche zwischen fünf und 15 Prozent der Sicherheitsbeauftragten gar keine Qualifikation.

5 Tipps um als Sicherheitsbeauftragter besser wahrgenommen werden:

  • Suchen Sie immer das Gespräch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, um sich über Arbeitssicherheit und Gesundheit auszutauschen.
  • Tauschen Sie sich mit den anderen Sicherheitsbeauftragten in Ihrem Betrieb aus.
  • Kommunizieren Sie regelmäßig mit den Führungskräften in Ihrem Unternehmen.
  • Informieren Sie sich regelmäßig über neue Vorschriften im Arbeitsschutz.
  • Nutzen Sie die Hilfsmittel (Checklisten und Plakate), die Ihnen von der BG oder dem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

 

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Laut DGUV waren 2021 in deutschen Betrieben etwa 710.000 Sicherheitsbeauftragte tätig. Reicht das?

Gerhard Kuntzemann: Entscheidend ist nicht die Anzahl der Sicherheitsbeauftragten, sondern die fachliche, räumliche und zeitliche Nähe zu den Beschäftigten. Es muss genügend Sicherheitsbeauftragte an den richtigen Stellen geben. Ein Beispiel: In einem Betrieb arbeiten in Halle 1 in der Frühschicht bis zu 60 Monteure, dann sollte der Sicherheitsbeauftragte in derselben Schicht arbeiten und am besten auch Monteur sein. Er kennt sich also fachlich aus und ist zeitlich und räumlich in der Nähe – nur dann kann er etwas bewirken. Wenn er aber zwei Hallen weiter in einer anderen Schicht arbeitet, hilft das niemandem weiter. Wenn er nie in Halle 1 arbeitet, kann er dort nicht auf Fehler angesprochen werden. Die räumliche und zeitlich Nähe ist also von zentraler Bedeutung. Damit steht und fällt die Wirkung der Sicherheitsbeauftragten.

Hat sich die Aufgabe der Sicherheitsbeauftragten in den letzten Jahren verändert?

Gerhard Kuntzemann: Der Job ist für sie sicherlich schwierig, wenn die Kolleginnen und Kollegen im Home Office sitzen und im Betrieb nicht mehr angesprochen werden können. Auch die Diversität ist eine Herausforderung für Sicherheitsbeauftragte, etwa wenn die Kolleginnen und Kollegen aus einer anderen Kultur stammen und dort ganze andere Lebenserfahrungen gemacht haben. Wie wollen sie einem syrischen Kollegen, der in seiner Heimat Angst um sein Leben hatte, weil Bomben auf sein Dorf gefallen sind, davon überzeugen, dass er jetzt Sicherheitsschuhe tragen muss, weil er sich sonst seinen kleinen Zeh brechen könnte? Das ist ein bisschen weit entfernt von seiner Lebenswirklichkeit. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der die Arbeit schwieriger macht.

Nämlich welcher?

Gerhard Kuntzemann: Die Betriebe entwickeln sich stetig weiter, die Jobs werden zunehmend diverser und spezieller. Früher haben in meinem oben erwähnten Beispiel in Halle 1 bis zu 60 Monteure gearbeitet. Heute sind dort 30 Monteure, 20 Elektriker, 3 Instandhalter und 7 Konstrukteure tätig, die alle einen anderen fachlichen Hintergrund haben. Seinerzeit war der Sicherheitsbeauftragte einer von den 60 Monteuren und konnte in dieser Funktion leichter tätig werden. Weil es aber heute so viele verschiedene Jobs in dem Bereich gibt, wird es immer schwieriger, den Überblick über den Arbeitsschutz für diese vielfältigen Jobs zu behalten. Und das macht die Aufgabe für Sicherheitsbeauftragte nicht einfacher.

Was können Sie Sicherheitsbeauftragten noch empfehlen, damit sie einen guten Job machen? 

Gerhard Kuntzemann: Wenn ein Sicherheitsbeauftragter sich als netter Kerl etabliert hat und den Beschäftigten in seinem Arbeitsbereich helfen kann, dann ist er wirklich gut aufgestellt. Ich sage immer ‚netter Kerl‘. Natürlich gibt es genauso gute oder sogar noch bessere weibliche Sicherheitsbeauftragte. Sie sind aber selten. 90 Prozent der Sicherheitsbeauftragten sind Männer. Was ich schade finde. Ich glaube, wir wären in diesem Bereich erfolgreicher, wenn mehr Frauen als Sicherheitsbeauftragte tätig wären. Um die Anzahl weiblicher Sicherheitsbeauftragter zu steigern, sollten Frauen im Betrieb angesprochen und gefragt werden, ob das nichts für sie wäre. Das ist aber eine Aufgabe der Führungskräfte.

 

Zur Person

Gerhard Kuntzemann ist Leiter Sachgebiet Sicherheitsbeauftragte der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung im Fachbereich Organisation von Sicherheit und Gesundheit. Er ist Aufsichtsperson der Berufsgenossenschaft Holz und Metall.

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