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BGHW-Studie: Was bringen Exoskelette und Datenbrillen?

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Das Wichtigste im Überblick

  • Viele Unternehmen setzen auf moderne Technologien wie Exoskelette, um ihre Beschäftigten körperlich zu entlasten.
  • Doch kann man mit Exoskeletten und Datenbrillen wirklich gesünder arbeiten?
  • Die BGHW hat anhand mehrerer Studien untersucht, wie hoch der Nutzen ist.
  • Das Ergebnis: Digitale Assistenzsysteme können unterstützen, sind aber kein Allheilmittel.
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Rückenschmerzen, Schulterbeschwerden, Nacken- oder Knieprobleme – Muskel-Skelett-Erkrankungen machen fast 25 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage aus. Ursache dafür sind gerade im Handel und in der Warenlogistik belastende Tätigkeiten wie Arbeiten über Kopf oder das häufige Anheben und Absetzen schwerer Gegenstände. Vermehrt setzen Unternehmen daher Exoskelette ein, um Beschäftigte zu entlasten. Wissenschaftler der Universität Innsbruck und vom Institut für Arbeitsschutz (IFA) der DGUV ­haben im Forschungsprojekt „Exo@Work“ den Nutzen von Exoskeletten analysiert.

Muskulatur weniger belastet

Professor Robert Weidner und sein Mitarbeiter Lennart Ralfs vom Innsbrucker Institut für Mechatronik entwickelten einen Testparcours mit neun verschiedenen Arbeitsszenarien sowie weiteren Nebentätigkeiten. In einer logistiknahen Tätigkeit wurden Entlastungseffekte in den Phasen zwischen Heben und Absetzen einer 5 und einer 13 Kilogramm schweren Box untersucht. In Studien im Labor und an betrieblichen -Arbeitsplätzen wurde die Belastung von 80 Testpersonen gemessen – sowohl unter Einsatz passiver als auch aktiver Exoskelette. Das Ergebnis: Passive und aktive Exoskelette können die muskuläre Belastung bei Tätigkeiten reduzieren. Aber nur in bestimmten Bewegungsphasen wie dem Heben und Senken einer schweren Last, die das Vorbeugen des Oberkörpers erfordern. Bei Tätigkeiten, die in aufrechter Haltung ausgeführt werden, ist kein entlastender Einfluss erkennbar. „Exoskelette unterstützen in der Belastungsspitze vorrangig nur eine Körperregion. Derzeit verfügbare Systeme unterstützen nicht den gesamten Körper“, sagt Professor Weidner.

 

Gehen kann beeinflusst werden

Weitere Erkenntnisse der Innsbrucker Studie: Exoskelette können einen positiven Einfluss auf die Bewegungstreue beim Heben und Senken haben und dazu beitragen, dass die Muskulatur langsamer ermüdet. Dies kann den Effekt haben, dass in der Praxis weniger Fehler bei den Arbeitsaufgaben gemacht werden und sich dadurch die Arbeitsleistung erhöht. Andererseits können Exoskelette zum Beispiel das Gehen und Treppensteigen einschränken. Nutzende nehmen sie aufgrund des Gewichts als Fremdkörper wahr. „Exoskelette sind kein Allheilmittel. Sie können immer nur für eine bestimmte Arbeitssituation eingesetzt werden“, sagt der Innsbrucker Studienleiter und weist auf einen weiteren Aspekt hin: „Entscheidend ist der Faktor Mensch. Die Nutzenden müssen sich mit dem Exoskelett wohlfühlen und spüren, dass ihnen die neue Technik hilft. Und da ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen.“

Spitzenbelastung trägt der Muskel allein

Auch in Sankt Augustin bei Bonn, dem Sitz des IFA, testeten sechs Frauen und sechs Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf einem Parcours die Effekte von passiven und aktiven Exoskeletten auf das Muskel-Skelett-System. Sie mussten unterschiedlich schwere Lasten (Gewichte von 10 und 20 Kilogramm) anheben, halten und absetzen sowie ihren Rumpf ohne und mit Last (10 Kilogramm) nach vorn beugen. Die biomechanischen Messungen zeigten, dass Exoskelette je nach System den Körper beim Beugen und Aufrichten unterschiedlich stark unterstützen: Passive Exoskelette entlasten beim Beugen stärker als beim Aufrichten, aktive dagegen unterstützen je nach Regelungseinstellung variabel und teilweise sogar mit einer größeren Wirkung als die passiven. „Mit anderen Worten: Die Entlastungswirkung von Exoskeletten, die den Rumpf unterstützen, tritt nur bei gebeugter Rumpfhaltung ein“, erklärt Dr. Ulrich Glitsch, der die Studie mit Dr. Kai Heinrich am IFA geleitet hat. Auffällig war auch, dass sowohl passive als auch aktive Exoskelette nicht zeitgleich mit der Muskulatur ihre Spitzenkraft erreichen. „Im ersten Moment beim Anheben einer Last müssen die Rückenmuskeln die Spitzenbelastung weiterhin selbst tragen“, sagt Sportwissenschaftler Glitsch. Exoskelette leisten nur eine Teilunterstützung, die in den am IFA durchgeführten Studien zwischen 10 und 30 Prozent der maximalen Gesamtbelastung erreichte. Dazu Glitsch: „Ein Exoskelett unterstützt, aber übernimmt nicht die komplette Arbeit.“

 

Schnittstelle Mensch – Exoskelett

Die Studie habe noch etwas gezeigt, so Glitsch: Für manche Teilnehmende war das Tragen eines Exoskeletts unangenehm, weil es am Körper Reibung und Druck erzeugte. Der IFA-Studienleiter prognostiziert: „Die Kompatibilität zwischen Exoskelett und Mensch muss besser werden, sonst wird es nicht möglich sein, die Potenziale für Gesundheit und Sicherheit zu heben.“

Die Entlastung durch ein Exoskelett beträgt maximal 30 Prozent. Menschliche Muskelkraft bleibt entscheidend.

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Das Bild zeigt einen jungen Mann, der eine Datenbrille trägt.
Noch ist der Einsatz von Datenbrillen überschaubar: Sie werden im Durchschnitt nur für drei Prozent der gesamten Arbeitszeit genutzt.

Datenbrillen schaden nicht

Eine andere neue Technik, die in der Lagerlogistik häufig eingesetzt wird, sind Datenbrillen. Diese digitalen Assistenzsysteme tragen beispielsweise Kommissioniererinnen und Kommissionierer am Kopf, um bei der Arbeit die Hände frei zu haben. Wie sich das auf die Gesundheit auswirkt, haben Professor Ulrich Hartmann und sein Mitarbeiter Daniel Friemert von der Hochschule Koblenz untersucht. Das Forschungsprojekt wurde 2018 von der BGHW initiiert und von der IFA begleitet. Drei Jahre lang analysierten die Wissenschaftler mehr als 100 Datenbrillenmodelle, recherchierten die Literatur und betrieben Labor- und Feldstudien, unter anderem in einem großen Logistikzentrum. Das Fazit: „Datenbrillen schaden nicht“, stellt Professor Hartmann fest. „Wir konnten keine negativen Einflüsse auf die Gesundheit feststellen – weder bei den Augenwerten noch bei der Körperhaltung. Sie haben auch keinen Effekt auf Muskel-Skelett-Belastungen – weder positiv noch negativ.“ Ein möglicher Grund: Der Blick in das Assistenzsystem macht nur drei Prozent der gesamten Arbeitszeit aus.

Datenbrillen beliebter als Tablet

Die Probanden haben die Datenbrillen gern getragen und gegenüber Tablet oder Handzetteln bevorzugt, betont der wissenschaftliche Assistent Friemert: „Die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann sich vorstellen, mit den Datenbrillen täglich zwei bis vier Stunden zu arbeiten.“ Die technischen Voraussetzungen wie funktionstüchtige Akkus und eine komplette WLAN-Ausleuchtung des Arbeitsplatzes müssen jedoch stimmen. „Sonst macht die Arbeit mit der Datenbrille keinen Spaß“, resümiert der Doktorand. „Ebenso wichtig sind Hygiene und Sauberkeit der Brille, wenn ein Modell in drei Schichten getragen wird“, bemerkt die Arbeitspsychologin der BGHW, Kathrin Schwarzmann, die die Feldstudien begleitet hat.

 

Datenbrillen punktuell nützlich

Unterstützen Datenbrillen dabei, Waren schneller zu kommissionieren? „Eine gesteigerte Effizienz konnten wir nicht feststellen. Ob Datenbrillen nützlich sind, müssen die Unternehmen allein entscheiden“, sagt Friemert. „Punktuell wird sich diese neue Technik durchsetzen. Es gibt nämlich noch viele Potenziale – vor allem für die Inklusion von Menschen mit Behinderung.“

Einsatz von Exoskeletten

  • Es gibt eine Vielzahl an Exoskeletten für verschiedene Körperregionen und Anwendungen. 
  • Für jeden Arbeitsplatz muss eine Eignungsbewertung erfolgen: Welches Exoskelett ist das passende? Verbessert es die physische Belastung nachhaltig? 
  • Der „Leitfaden zur Evaluation von Exoskeletten“ der BGHW bietet eine Grundlage, um Exoskelette bei gewerblicher Anwendung zu bewerten.
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Ralf Schick

BGHW-Experte für Exoskelette

Leiter Sachgebiet Physische Belastungen und Fachbereich Handel und Logistik der DGUV

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r.schick(at)bghw.de

Redaktion "Hundert Prozent"

E-Mail:
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