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Praxistaugliche Ergonomie-Beratung

ca. 5 Minuten Lesezeit

Das Wichtigste im Überblick

  • Ideal ist eine Ergonomie-Beratung direkt vor Ort – an jedem Arbeitsplatz – von der Obst-/Gemüseabteilung über Milchprodukte/Frischetheke bis zu den Kassenarbeitsplätzen.
  • Eine Ergonomie-Beratung sollte auf Augenhöhe stattfinden.
  • Trainer und Mitarbeitende sollten gemeinsam alltagstaugliche Lösungen finden.
  • Das Ergonomie-Training im Betrieb schafft ein Bewusstsein für Fehlhaltungen.
  • Kolleginnen und Kollegen sollten aufeinander achten und Haltungstipps weitergeben.
  • Der Betriebsrat kann Gesundheit am Arbeitsplatz unterstützen und sollte vor allem die Auszubildenden im Blick haben.
  • Die BGHW bietet ihren Mitgliedsbetrieben ein kostenloses Ergonomie-Seminar an.
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Rund 25 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland sind auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zurückzuführen. Grund genug, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer wieder für gesundes Arbeiten zu sensibilisieren. Hundert Prozent hat eine Ergonomie-Beratung in einem Rewe Markt begleitet.

Ergonomie-Beratung direkt vor Ort

Ergonomie-Beratung im Supermarkt

Morgens um 8.00 Uhr im Rewe Markt in Niederdollendorf bei Königswinter. Es ist noch ruhig, kaum Kundschaft. Azubi Kevin Kirchhoff, Mitarbeiterin Monika Schlegelmilch und der stellvertretende Marktleiter Sven Kuhn haben gut zu tun. Die drei räumen die frische Ware in der Obst- und Gemüseabteilung in die Regale und Körbe ein. Die Paletten sind hochbeladen. Kisten voller Tomaten, Möhren, Kohlköpfe, Äpfel oder Melonen müssen zügig verteilt werden. Jeden Morgen sind hier rund hundert Kisten zu verräumen, das heißt: Kiste von der Palette nehmen, umdrehen, zum Regal laufen, absetzen und einsortieren. Heute ist Patrick Schopa vom arbeitsmedizinischen Dienstleister BAD dabei. Er schaut sich die Bewegungsabläufe an und gibt Tipps, wie sich Muskel-Skelett-Belastungen vermeiden lassen. Schopa ist Sportwissenschaftler und führt im Auftrag der Rewe Ergonomie-Beratungen durch. 

Anbieter für Ergonomie-Beratung

Arbeitsmedizinischer Dienstleister BAD

Rewe kooperiert bei der Ergonomie-Beratung mit dem Präventionsdienstleister BAD. Dieser betreut bundesweit den überwiegenden Teil der Rewe Märkte und alle Logistiklager sowie Verwaltungsstandorte. Das Konzept des BAD sieht eine zielgruppengerechte individuelle Unterweisung oder eine Unterweisung in kleinen Gruppen vor. Jeder wird individuell beraten und die Arbeitsabläufe im Markt werden nicht gestört. Bei speziellen arbeitsmedizinischen Fragestellungen stehen jederzeit die BAD-Gesundheitszentren vor Ort zur Verfügung und bei Bedarf begleitet ein Arbeitsmediziner die Ergonomie-Beratung.

Angebot der BGHW

Die Aufsichtspersonen der BGHW können ihre Mitgliedsunternehmen bei Bedarf ergonomisch beraten. Außerdem bietet die BGHW das Seminar „Ergonomie am Arbeitsplatz“an. Dieses kostenlose Seminar richtet sich an Personen, die sich im Unternehmen mit Gesundheitsthemen befassen, an Führungskräfte, Betriebsräte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Patrick Gaß leitet das Themenfeld Ergonomie bei der BGWH und ergänzt: „Durch eine ergonomische Arbeitsplatz- und Organisationsgestaltung können auch kleine und mittlere Unternehmen die Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten steigern. Das wirkt sich auch positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.“ Aus Erfahrung weiß Gaß, dass oftmals schon kleine Veränderungen genügen, um den Beschäftigten ein günstigeres ergonomisches Umfeld zu bieten.

Ergonomie-Beratung auf Augenhöhe

Ergonomie-Trainer zeigt richtiges Heben
Patrick Schopa zeigt Monika Schlegelmilch, wie sie rückenschonend mehrere Kisten anhebt.

„Das Wichtigste beim Heben und Tragen der Kisten ist, sie so nah wie möglich an den Körper ranzunehmen“, erläutert Patrick Schopa. Je weiter man mit den Armen und der Last vom Körper weg sei, desto größer sei die Anstrengung für den Rücken. Kevin, Monika und Sven nehmen sich die nächsten Kisten, Patrick schaut bei jedem in Ruhe zu und korrigiert minimal: ein bisschen breitbeiniger stehen, auf dem ganzen Fuß und nicht die Fersen anheben. Das gibt einen besseren Stand. Dabei den Bauch anspannen und weiteratmen nicht vergessen. Das stärkt ebenfalls den Rücken. Die Vier duzen sich. Patrick Schopa ist eine lockere Atmosphäre bei der Beratung wichtig: „Ich spreche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Augenhöhe und stehe nicht wie ein Dozent vor ihnen.“

Gemeinsam alltagstaugliche Lösungen finden

Ergonomie-Trainer zeigt richtiges Heben
Patrick Schopa erläutert, wie die Beschäftigten die Arme halten sollen, wenn sie schwere Körbe in hohe Regale verräumen .

Schritt für Schritt geht Schopa mit ihnen die Abläufe durch. Was passiert beispielsweise beim Einräumen der Ware in die unteren Regalböden? Kevin zeigt, wie er es üblicherweise macht: mit einem Knie auf dem harten Steinboden abstützen und dann den Korb ausräumen. „Auf Dauer bereitet diese Belastung deinen Knien Probleme“, sagt Patrick ihm. Kniepolster seien aber zu umständlich, entgegnet Kevin. „Manchmal hilft hier ein simpler Trick, der sich im Alltag schnell umsetzen lässt“, empfiehlt der Sportwissenschaftler: Ein kleines zurechtgeschnittenes Stück eines Pappkartons mit Luftpolstern, immer griffbereit in der Hosentasche, könne eine Erleichterung für das Knie sein. Geht’s noch einfacher? Kevin schlägt vor, seine Handschuhe als Polsterhilfe zu nutzen. Funktioniert prima!

Was ist aber mit den oberen Regalen an den Obst- und Gemüsetheken? Kevin ist 1,90 Meter groß, aber andere Kollegen und Kolleginnen sind kleiner und müssen sich sehr recken, um an die oberen Regale zu kommen. „Egal ob groß oder klein, die oberen Regale mit Ware zu bestücken, ist für alle eine Belastung“, sagt Schopa. Der Hebel der Arme sei einfach ungünstig. Hier gilt: So schnell wie möglich die zu sich herangezogene Kiste im Regal absetzen. „Nicht jede Tätigkeit lässt sich ergonomisch einwandfrei ausführen“, sagt Schopa. Die Realität sieht manchmal einfach anders aus. Tiefkühltruhen, Wurst-, Fleisch- und Käsetheken haben in der Regel eine große Tiefe, alle Kolleginnen und Kollegen müssen sich hier strecken und manchmal auch Kundinnen und Kunden. „Aber wenn wir uns bemühen, immerhin 20 bis 30 Prozent unserer Arbeiten korrekt auszuführen, gewöhnen wir uns mehr und mehr an die richtigen Abläufe.“

Trotzdem fällt den Dreien noch eine Verbesserungsidee für die oberen Gemüseregale ein: Einfach die schweren Gemüsesorten wie Kohlköpfe nach unten räumen und die leichte Ware in kleineren Körben nach oben. „Es macht einen Unterschied, ob ich eine Kiste mit Spitzkohl nach oben in das Regal wuchte, oder sie im unteren Regal abstelle“, findet Monika Schlegelmilch. Die Drei sind zufrieden mit dieser kurzen, aber genau auf ihren Arbeitsplatz bezogenen Beratung.

Für Fehlhaltungen ein Bewusstsein schaffen

Ergonomie-Trainer berät Supermarktangestellte an Tiefkühltheke
Janine Gengec nimmt die 1:1-Beratung immer wieder gerne als Auffrischung wahr und gibt ihr Wissen an Kolleginnen und Kollegen weiter.

Auf gehts zum nächsten Arbeitsplatz: Im Tiefkühlbereich ist Janine Gengec heute für die Verräumung der Ware zuständig. Große Kartons mit Pizza, Brezeln und Co. muss sie zügig in die Truhen einsortieren. Eine Schülerpraktikantin unterstützt sie. Janine hat bereits vor drei Jahren an einer Ergonomie-Beratung teilgenommen. Aber eine Auffrischung nimmt sie gerne wieder in Anspruch. Die meisten Tipps hat sie gut verinnerlicht. Was ihr immer noch schwerfällt: Wenn sie einen Karton vom Rollwagen nimmt, dreht sie sich nach wie vor zu sehr aus dem Oberkörper heraus. „Das nimmt dir deine Bandscheibe auf Dauer übel“, sagt Patrick und zeigt ihr noch einmal, wie wichtig es ist, sich mit dem kompletten Körper in die Richtung zu drehen, in die man gehen möchte. Immer wieder auf Fehlhaltungen aufmerksam machen, ein Bewusstsein für den eigenen Körper und die eigene Gesundheit schaffen – das soll dieses Training bewirken und ist auch das Ziel für den stellvertretenden Marktleiter Sven Kuhn an diesem Tag. Ob sie sonst noch Fragen oder Anregungen habe, will Patrick wissen? „Oh ja“, sagt Janine. Mit ihrer Körpergröße von 1,55 Meter demonstriert sie, wie schwer es für sie ist, sich bis an die hinterste Ecke einer Kühltruhe zur recken. Patrick notiert es. Denn die Experten und ärztlichen Mitarbeitenden des BAD stimmen sich regelmäßig mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit von Rewe ab und prüfen, was verbessert werden könnte. Natürlich können nicht von jetzt auf gleich neue Kühltruhen angeschafft werden. Aber so wie Janine Gengec ergeht es vielen Beschäftigten sowie Kundinnen und Kunden: Auch sie müssen sich strecken, um an Produkte in der hintersten Reihe zu kommen. Mittelfristig können solche Kritikpunkte der Mitarbeitenden zu einer Anpassung des Mobiliars führen. Davon profitieren alle.

Kassenarbeitsplätze - dynamisch stehen und sitzen

Ergonomie-Trainer berät Supermarktangestellte an der Kasse
Michaela Üdelhofen arbeitet an einer Stehkasse und geht mit Patrick Schopa ihre typischen Bewegungsabläufe durch.

Zum Schluss schaut sich Patrick Schopa die Kassenarbeitsplätze an. Michaela Üdelhofen arbeitet an einer reinen Stehkasse. Sie treibt regelmäßig Sport und frischt mit Schopa nur noch einmal die wichtigsten Aspekte für das dynamische Stehen auf: mit den Füßen auf- und abwippen, vom rechten auf das linke Bein wechseln, immer ein bisschen in Bewegung bleiben. Außerdem empfiehlt er ihr, eine Ergonomie-Matte zu verwenden. Diese Matten sorgen für ein Entlastung, wenn man längere Zeit stehen muss.

Die beste Sitzposition ist immer die nächste

Ergonomie-Trainer berät Supermarktangestellte an der Kasse
Patrick Schopa bespricht mit Kassiererin Bärbel Brandenburg, wie sie den Fußraum unter ihrer Kasse am besten gestaltet.

Ihre Kassenkollegin Bärbel Brandenburg verfügt bereits über einen persönlichen orthopädischen Stuhl, der ihr viel Erleichterung verschafft. Patrick erinnert sie nochmals daran: Die beste Sitzposition ist immer die nächste! Nur wenn sie dynamisch sitzt, also in Bewegung bleibt und die Position regelmäßig ändert, werden die Bandscheiben gut versorgt. Bärbel lässt sich von Patrick außerdem noch Tipps zu Präventionskursen geben, die sie für ihre eigene Rückengesundheit bei der Krankenkasse beantragen kann. 

Aufeinander achten

Patrick Schopa schließt seine Ergonomie-Beratung nach zwei Stunden ab. Für die Beschäftigten, die er nicht sprechen konnte, gibt er Handzettel mit den wichtigsten Informationen mit. Entscheidend sei, so Schopa, dass sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig auf Fehlhaltungen aufmerksam machen und aufeinander achten. Sven Kuhn ist zufrieden: „Die 1:1-Beratung war auf den Punkt gebracht. Die Praxisübungen bringen das Thema Gesundheit wieder ins Bewusstsein.“ Auch unter wirtschaftlichen Aspekten sei die Ergonomie-Beratung optimal: Die Beschäftigten sind nur kurz eingebunden und die Kundinnen und Kunden können in Ruhe weiter einkaufen.

Betriebsrat unterstützt Gesundheit am Arbeitsplatz – Auszubildende im Fokus

Marcel Fels, Betriebsrat der Rewe Zweigniederlassung West, hat die Ergonomie-Beratung begleitet. „Ich fand es besonders gut, dass auch der Azubi des Marktes teilgenommen hat.“ Je früher er die richtigen Bewegungsabläufe verinnerlicht, desto selbstverständlicher ist es für ihn, auf gesundes Arbeiten zu achten.“ Der Betriebsrat will das Thema gesundes Arbeiten ebenfalls intensiver aufgreifen. Dazu Fels: „Es gibt beispielsweise Schulungen zu ‚Wie baue ich eine optisch attraktive Gemüsetheke auf.‘ Diese Schulungen könnten wir gleichzeitig mit dem Thema Gesundheit und Ergonomie verknüpfen und einen Ergonomie-Berater dazu einladen.“ Und was sagt der Azubi zu seiner ersten Erfahrung zu ergonomischem Arbeiten? „Absolut sinnvoll! Und ich habe direkt einen Tipp umgesetzt: Ich lege ab jetzt meine Handschuhe unter mein Knie, wenn ich mich auf dem Boden abstützen muss.“

3 Tipps – Ergonomie im Alltag

  1. Richtig heben und tragen ist wie Zähneputzen! Auch wenn ich morgens verschlafen habe und im Stress bin, putze ich mir die Zähne. Die Zeit nehme ich mir! Jeden Morgen. Beim Einräumen der Waren gilt das gleiche: keine Zeit, dauert zu lange gilt nicht! Ich muss meinem Körper die korrekten Abläufe gönnen, sonst straft er mich ab.
  2. Die beste Sitzposition ist die nächste! Also immer in Bewegung bleiben, die Sitzposition regelmäßig verändern. Das gilt auch fürs Stehen. 
  3. Passen Sie aufeinander auf! Ein junger Körper steckt noch viel weg. Aber auf Dauer machen sich ungesunde Bewegungsabläufe schmerzhaft bemerkbar. Wenn ich Fehlhaltungen bei Kolleginnen und Kollegen sehe, mache ich sie darauf aufmerksam.
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Patrick Gaß

Aufsichtsperson BGHW, Leiter Themenfeld Ergonomie und Disability Manager

E-Mail:
p.gass(at)bghw.de

Redaktion "Hundert Prozent"

E-Mail:
hundertprozent(at)bghw.de

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